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Archiv-Artikel

Lachen und essen

MUNDART Der SPD verdankt das Berliner Prime Time Theater, dass Liebe nicht nur auf der Bühne, sondern auch in der Kantine durch den Magen geht

VON WALTRAUD SCHWAB

Schon klar, Mundart hat mit Sprechen zu tun. Und mit Essen. Aber diese Geschichte spielt in Berlin. Und im Ernst: Der in der Hauptstadt gesprochenen Mundart hängt ein Hauch Verwegenheit an und ein Hauch Vulgarität dazu. Wie bitte soll „icke“, „ditte“ und „wat denn“ schon schmecken?

Antwort gibt es im Prime Time Theater im Berliner Bezirk Wedding. Dieser Bezirk ist etwas Besonderes, weil dort neben den Armen aus aller Herren Westblockländer – die mit der „Kanak Sprak“ eine ganz eigene Mundart entwickelten, in der „Hey Alta, isch mach disch platt, oda?“ eine Art Liebkosung ist – auch das deutsche Proletariat den Kalten Krieg überlebte und mit ihm „icke“, „ditte“ und „wat denn“.

Vor ungefähr acht Jahren nahm sich eine Truppe blutjunger arbeitsloser SchauspielerInnen um Constanze Behrends (sächsischen Ursprungs) und Oliver Tautorat (deutsch-griechischer Mix) der speziellen Weddinger Mundarten an. Sie begannen vor 35 Leuten in einem Wohnzimmer ihre Live-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ zu spielen. Pünktlich zur Prime Time, um 20.15 Uhr, wurden die schnell geschriebenen Folgen auf der Bühne improvisiert. Ihre Figuren: Menschen, die es im Wedding gibt, Kalle Witzkowsky (Postbote), Murat (Dönertaxifahrer), Sabrina (Kiezschlampe), Ahmed Ölgur (Onkel und Imbissbesitzer), Heidemarie Schinkel (Arbeitsamtberaterin) und hundert andere Figuren, die so sprechen, wie die Menschen im Wedding sprechen und auch über das, was Menschen im Wedding bewegt – Liebe, Arbeit, Geld und die anderen. Meist haben sie mit Liebe, Arbeit, Geld und den anderen nichts als Ärger. Da will der nicht mir der. Da hat die was gegen den. Da hat der was gesagt, was ein anderer so verstanden hat, dass die, der er das weitergesagt hat, es unbedingt der weitersagen muss, die eigentlich gemeint war, und die ist jetzt sauer und redet nicht mehr mit dem, der das gesagt hat. Alles in Mundart natürlich. Gegessen wird auch. Döner. Pizza. Currywurst.

Mittlerweile ist die Sitcom bei der 73. Folge. In der tritt Mushido auf, ein Zehlendorfer Junge, der sich von Murat erklären lässt, wie er Gangsta-Rapper wird. Zudem ist das Theater dreimal umgezogen. Es ist Pop und Kult und Volxtheater und 21. Jahrhundert. Heute bespielt es einen Raum mit 230 Plätzen gegenüber dem Arbeitsamt und direkt neben der Weddinger SPD-Zentrale.

Den Sozialdemokraten hat es das Prime Time Theater zu verdanken, dass es nun eine Kantine hat. Dort war vorher ein chinesisches Lokal drin, aber auch die SPD will mal „wat anderet“. Und Tautorats zweiter Traum im Leben neben dem Theater: Er wollte ein Restaurant. Tautorat, der den Postboten Kalle spielt und Murat und Mahmut und x andere Figuren, isst nämlich gern, und das sieht man.

Nach so viel kontextueller Sättigung geht’s endlich zum Genuss, denn die Vorstellungen im Theater mit seiner metropopkulturellen Verarbeitung von Mundart setzen sich in der Kantine fort: dieses Mal in Echtzeit.

Die Kantine ist so was wie die WG-Küche der Figuren, die nun schon acht Jahre lang diesen Bezirk, obwohl komplett übertrieben, treffgenau abbilden, indem sie die Welt, die einem echten Weddinger immer zu groß und zu unübersichtlich ist, klein und verständlich machen. Die Fliege in der Suppe? Die kannste ja schön auf den Tellerrand legen.

Oh Gott, das dürfte jetzt nicht hier stehen, weil es immer Leute gibt, die so was eins zu eins lesen. Selbstverständlich wird die Suppe in der Kantine ohne Fliegen gekocht. Dafür sorgt Mario Käding. Der hat in den achtziger Jahren im Ratskeller im Roten Rathaus in Ostberlin „allet jelernt“. Deutsche Hausmannskost und französisch mit Buletten, Schusterjungen mit Schmalz, Eisbein und so, zählt er auf. 1983 ist er zur Marine, Schnellbootflottille. Da waren die Kombüsen so klein wie die Küche in der Kantine. Nach der Wende aber war Schluss mit Nationaler Volksarmee. Käding verschlägt es für 18 Jahre ins Hotel Marina am Starnberger See. Zum „Schef Antremetje“, zum „Gardemanschee“, dem Chef der kalten Küche, bringt er es und will doch immer zurück nach Berlin. Kurz nachdem er wieder in der Hauptstadt ist, sucht Oliver Tautorat, der Theaterleiter einen Koch. Der introvertierte Käding stolpert mehrfach über die Stellenanzeige, als wär’s Schicksal – und will nicht. „Ach nee, ist nicht, weeß nicht, klingt merkwürdig.“ Aber auch die vom Arbeitsamt schickt ihn hin. Und Oliver – „Der ist ja gar kein Chef, der ist viel zu kollegial“ – merkt schnell, dass er sich auf Käding verlassen kann. Umgekehrt auch.

In der Kantine soll es ehrliche „mediterrane Hausmannskost“ geben. Die Figuren aus der Sitcom, die sollen hier ihre Fortsetzung haben, „denn wer gern isst, lacht auch gern“, sagt Tautorat. So kommen die Lieblingsgerichte auf die Karte. Vom Postboten Kalle: „Ick ess jern Börger.“ Von Mahmut: „Isch esse voll gern çorba (Suppe), schameck wie suhause, oda?“ Von der sächselnden Frau Schinkel: „’ch ess gärn Gulasch mit Guorknsollod. Ma hattn doch nüscht.“

Bei hundert Figuren ist noch mehr auf der Karte. Der Koch stellt sich der Herausforderung. „Für Geld arbeiten ist hier nicht. Ich arbeite fürs Herz“, sagt er.

Applaus. Encore. Encore.