Streit über Frankenstein-Experimente

Ist es Tierquälerei, Mäuse aneinanderzunähen? Die Medizinische Hochschule Hannover legt Widerspruch gegen ein Verbot der Tierversuche ein. Ärzte kritisieren die Tests als ethisch nicht vertretbar und „Rückfall ins Mittelalter“

Über Versuche an lebenden Mäusen streiten die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und die Genehmigungsbehörde. Man werde Widerspruch gegen einen Bescheid des zuständigen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) einlegen, kündigte gestern ein MHH-Sprecher an. Das Landesamt hatte es abgelehnt, die beantragten Experimente im Rahmen einer MHH-Studie zur Stammzellenforschung zu genehmigen – aus Sicht des Laves verletzten sie den Tierschutz.

Für Vorversuche waren zwei Mäusepärchen unter Narkose vom Ellbogen bis zum Oberschenkel aneinandergenäht worden. „Das tut ohne Zweifel weh“, sagt Hans-Jürgen Hedrich, Leiter des MHH-Instituts für Versuchstierkunde. Aber: Die Tiere würden sich daran gewöhnen. „Nach 14 Tagen gehen sie gemeinsam zum Futter- und Trinknapf und zur Schlafstelle“, sagt Hedrich. Zudem seien alternative Methoden noch weniger „tierschonend“. Die MHH will sich in ihrem Widerspruch auf Studien berufen, nach denen die Belastung der Versuchstiere bei diesem „Parabiose“ genannten Verfahren nicht zu hoch ist. Hierbei werden die Blutkreisläufe von einer gesunden und einer kranken Maus verbunden. So soll herausgefunden werden, welche Zellen des gesunden Tieres sich im anderen Körper ansiedeln, um diesen zu „reparieren“.

„Dass solche Frankenstein-Experimente jetzt wieder ausgegraben werden, ist ein Rückfall ins tiefste Mittelalter“, kritisiert Corina Gericke von der Organisation „Ärzte gegen Tierversuche“. Tiere zusammenzunähen sei extrem grausam und ethisch nicht vertretbar: „Man stelle sich den Schock vor, man wacht nach einer OP auf und ist mit einem Partner, den man sich nicht ausgesucht hat, unwiederbringlich zusammengeschweißt.“ Den Mäusen bleibe wenig „anderes übrig, als sich mit den Situation irgendwie zu arrangieren“, sagt die Ärztin. „Dass sie ‚normal‘ fressen, ist kein Zeichen, dass es ihnen gut geht.“

„Ich halte das für eine hochgradige Belastung“, sagt auch Hansjoachim Hackbarth, Tierschutzbeauftragter der Tierärztlichen Hochschule, der einen Teil der Vorversuche begutachtet hat. Vor allem in den ersten zwei Tagen sei die Operation für die Tiere eine Qual. Erst nach acht Wochen nehme die Belastung ab. Hackbarth vergleicht das mit dem Menschen: „Das ist wie mit Siamesischen Zwillingen. Viele wollen sich nicht trennen, weil sie sich aneinander gewöhnt haben.“ Kai Schöneberg