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Archiv-Artikel

Wild und willig immer nach vorn

SPEKTAKEL Beim 4:4 gegen Hertha kann Eintracht Frankfurt nur die Freunde der Offensive begeistern

FRANKFURT | „Willkommen im Tempel des Spektakels“, sagte Eintracht Frankfurts Finanzvorstand Axel Hellmann nach diesem denkwürdigen 4:4 gegen Hertha BSC Berlin. Er fände es allerdings noch besser, fügte er mit einem Schmunzeln an, „wenn wir uns in Abu Dhabi im Wintertrainingslager auch um die Verteidigung kümmern.“

Niemand in der Liga ist gerade so auf Angriff gepolt wie Frankfurts Berufsfußballer. Seit die Mannschaft sich in einer internen Sitzung vor dem Kräftemessen gegen den FC Bayern (0:4) Anfang November beim Trainerteam für eine mutigere Ausrichtung aussprach, vertraut Thomas Schaaf wieder jenen Werten, mit denen er einst beim SV Werder eine Ära prägte. Sturm-und-Drang steht ganz oben auf der Agenda. Der Fußballlehrer nominiert seit Wochen dasselbe Personal für ein 4-4-2-System mit Mittelfeldraute, in der drei Akteure (Marc Stendera, Stefan Aigner und Takashi Inui) das gegnerische Tor fokussieren. Und davor sind zwei Klassestürmer (Meier und Haris Seferovic), die perfekt harmonieren.

Meier meinte nach seinen beiden Treffern: „Ich war richtig schlecht, aber wir rennen auch in der 90. Minute noch wild nach vorne und dann fällt mir der Ball vor die Füße.“ Heraus kommen dabei Resultate wie 4:5 (Stuttgart), 5:2 (gegen Bremen), 2:3 (in Hoffenheim) oder nun 4:4 (gegen Berlin). So haben die Hessen nach dem FC Bayern die zweitmeisten Tore geschossen (33), aber auch die zweitmeisten hingenommen (auch 33). „Ich glaube, es lohnt sich, hier in die Arena zu kommen“, konstatierte Schaaf. „Hier ist unglaublich was los, sensationell, auch wenn das nicht immer einen positiven Ausgang nimmt.“

Der 53-Jährige wirkte selbst hin und her gerissen: Einerseits gab er zu, dass ihm solch Abende „Nerven kosten, vor allem wenn man dann nix holt, sind das harte Nächte“. Andererseits sieht er sich als Teil der Unterhaltungsbranche, „die Leute wollen Tore sehen“. Und bereits an der Weser verfolgte er einen fast idealistischen Ansatz, bei dem das offensive Tun eine höhere Priorität als die defensive Pflicht genoss.

Gegen enorm effektive Berliner (Eintracht-Torwart Timo Hildebrand: „Ich habe selten eine Mannschaft gesehen, die so wenig wollte“) brachten 63 Prozent Ballbesitz oder 16:8 Torschüsse unter dem Strich einen eigentlich unbefriedigenden Effekt. Das wusste auch Schaaf. „Es ist nicht der Gedanke des offensiven Fußballs, sich defensiv so zu verhalten: Das müssen wir uns an die eigene Backe nageln.“ Er kritisierte das „passive, ja naive Verhalten“ bei den Gegentoren von John Anthony Brooks (21.), Änis Ben Hatira (33.), Julian Schieber (37.) und Peter Niemeyer (80.). Dreimal traf das erstaunlich effektive Team von Jos Luhukay („Für die Fans war das ein richtig geiles Fußballspiel“) nach Standardsituationen, weswegen Hildebrand seine Vorderleute anklagte: „Wir müssen mit allem, was wir haben, verteidigen. Das ist eine Einstellungssache!“

Ihm hatte das teils vogelwilde Treiben in seinem 300. Bundesligaspiel vor allem deshalb die Laune verdorben, weil er nicht glaubt, dass dieser Hurrastil dauerhaft gut ausgeht. „Spitzenmannschaften lassen uns nicht vier Tore schießen.“ Der Beweis kann am Samstag in Leverkusen erbracht werden: Eingedenk des forschen Leverkusener Angriffsfußballs dürfte jeder auf seine Kosten kommen, der sich das Kräftemessen mit den frechen Frankfurtern zum Hinrunden-Kehraus ansieht. Ein 0:0 scheint da eigentlich von vornherein ausgeschlossen. FRANK HELLMANN