: „Talent ist überall“
LEICHTATHLETIK Kim Collins, der WM-Dritte über 100 Meter, erklärt, was Usain Bolt falsch gemacht hat und warum Europäer langsamer sind
■ 35, 100-Meter-Weltmeister 2003, WM-Dritter 2007 und 2011. Verheiratet, fünf Kinder, trainierte einige Zeit in Jamaika mit Usain Bolt und dessen Trainer Glenn Mills, lebt jetzt wieder zu Hause im Karibikstaat St. Kitts und Nevis.
INTERVIEW SUSANNE ROHLFING
taz: Herr Collins, 2001 haben Sie Ihre erste große Sprintmedaille gewonnen, und 2003 sind Sie Weltmeister geworden. Jetzt sind Sie immer noch fit genug, um Bronze über 100 Meter zu holen. Was ist Ihr Geheimnis?
Kim Collins: Das Geheimnis ist, anständig zu trainieren und auf deinen Körper zu hören. Du musst gut essen. Wenn du das Beste aus deinem Körper herausholen willst, musst du dafür sorgen, dass dein Körper in einer guten Verfassung ist. Es gibt so viele Sachen, die du als junger Mensch falsch machst. Weil dein Körper jung und frisch ist, kommst du mit vielen Sachen durch. Du kannst wenig schlafen und schlecht essen.
Wie Usain Bolt seine Chicken Nuggets.
Wissen Sie was, das ist sehr speziell. Ich esse keine Chicken Nuggets …
… vielleicht sollten Sie das tun.
Nein, nein, nein, nein, nein. Ich habe einen sehr viel besseren Ernährungsplan. Ich esse Vollkornprodukte, trinke reine Säfte, ich achte sehr auf einen gesunden Lebensstil.
Wie schnell wäre Usain Bolt wohl, wenn er das auch täte?
Ich bin sicher, viel schneller. Aber wenn er glaubt, Chicken Nuggets sind das Geheimnis – wer sind wir, ihm etwas anderes zu erzählen? Wenn er jedoch älter wird, glauben Sie mir, werden es keine Chicken Nuggets mehr sein.
Was ging im 100-Meter-Finale von Daegu in Ihnen vor, als klar war, dass der Titelverteidiger und Weltrekordhalter Usain Bolt wegen eines Fehlstarts raus ist?
Zunächst war ich geschockt. Ich habe ihn gesehen, aber ich dachte: Das passiert nicht wirklich. Dann, als er sein Shirt auszog, dachte ich: Das ist sein größter Fehler.
Warum?
Weil er damit Schuld ausgedrückt hat.
Aber es war deutlich, dass es sein Fehler war.
Es war deutlich, aber – ich weiß, dass ich Schwierigkeiten bekomme, weil ich das sage – meiner Meinung nach, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist: Wenn er versucht hätte, es infrage zu stellen, wäre nichts passiert. Wir wären alle zurück ins Rennen gegangen.
Was sagen Sie zu den Spekulationen, die hinterher aufkamen, er habe es möglicherweise so gewollt?
Das glaube ich nicht. Ich bin überzeugt, dass er den Weltrekord brechen will, jedes Mal, wenn er rennt. Ich weiß, dass er weiß, dass ich sehr schnell aus den Blöcken komme. Er will ein Rennen von Beginn an anführen, aber das ist nicht möglich, wenn ich dabei bin. Das hat an seinen Nerven gezerrt. Ich persönlich wünschte, er wäre dabei gewesen, es wäre ein sehr viel besseres Rennen geworden.
Aber vielleicht hätten Sie nicht Bronze gewonnen.
Ich wäre trotzdem auf dem Podium gewesen. Vielleicht wäre Yohan Blake nicht Zweiter geworden, vielleicht wäre Walter Dix auf Platz vier gelandet – ich wäre auf jeden Fall auf dem Podium gewesen.
Usain Bolt ist ein Sprinter, der das Posieren und Witzchenreißen auf einen neuen Level gehoben hat. Mögen Sie das?
Er ist die Nummer eins, er muss eine Masche haben. Wenn du da draußen so agierst und dann verlierst, wirkt das nicht sehr unterhaltsam. Du musst gewinnen. Dann ist das wie mit kleinen Kindern: Die können nichts falsch machen, die sind immer süß.
Ist es gut für die Leichtathletik, dass sie jemanden wie Usain Bolt hat? Oder nimmt er allen anderen oft zu viel Aufmerksamkeit weg?
Die Sache ist doch die: Wir alle wollen einen Champion. Wenn es nicht Usain Bolt wäre, würden wir jemand anders finden, der das Gesicht der Leichtathletik wäre. Ich denke, er hat die Leichtathletik auf einen neuen Level gehoben, Menschen auf der ganzen Welt werden seinetwegen Leichtathletikfans. Dafür kann man ihn nicht verurteilen. Er hat die Welt hinter sich. Andererseits bedeutet das ja auch sehr viel Druck für ihn. Er muss immer das Allerbeste abliefern. Wenn er nicht konzentriert bleibt, machen ihm seine Nerven einen Strich durch die Rechnung.
Sind seine Weltrekorde noch schlagbar?
Immer. Wir haben so viele Rekorde fallen sehen. Immer wenn du denkst, du hast alles gesehen, kommt jemand Neues und überrascht dich.
Sind sie ohne Doping schlagbar?
Ich denke, ja. Ich dachte mal anders, aber jetzt denke ich: ja. Ich habe an mir gesehen, was ich aus meinem Körper rausholen kann. Und wenn ich es hinbekommen würde, das abzurufen, was ich im Training zeige, könnte auch ich noch viel schneller laufen.
Wie ist das mit den europäischen Sprintern: Sind sie weniger talentiert, oder trainieren sie falsch?
Ich glaube nicht, dass sie weniger talentiert sind. Talent ist überall auf der Welt gleich verteilt. Was bedenklich ist, ist die Temperatur. In der Karibik ist es immer heiß. Also sind unsere Muskeln und unser Blut immer schön warm. Dein Körper ist immer aufgewärmt, auch wenn du einfach nur herumsitzt. Meiner Meinung nach macht es das leichter, den Körper richtig anzuheizen. Gäbe man Europäern die Möglichkeit, für längere Zeit irgendwo zu trainieren, wo es warm ist, wären sie auch schneller. Hinzu kommt, dass wegen der Kälte in Europa oft in der Halle trainiert wird. Dort ist es aber schwierig, die Maximalgeschwindigkeit aus deinem Körper herauszuholen. Dein Körper wird sich nicht anständig anpassen auf einer Bahn, die nur halb so groß ist wie die, auf der du Wettkämpfe austragen sollst.
Es gibt aber Theorien, die besagen, Schwarze seien allein schon aufgrund ihres Körperbaus und ihrer Muskelbeschaffenheit im Sprint bevorteilt. Glauben Sie das?
Nein. Schickt mir ein paar Deutsche nach St. Kitts, und ihr werdet überrascht sein. Ich kriege sie dazu, sehr schnell zu rennen.
Was glauben Sie, warum es in Jamaika so viele herausragende Sprinter gibt?
Die Menschen dort lieben den Sport, sie lieben es, sich zu messen. Der Level, auf dem das Land sich befindet, ist derselbe Level, auf dem die Welt ist. Wenn du in Jamaika mithalten kannst, kannst du überall auf der Welt mithalten. Das ist der Unterschied. Wenn du es in Jamaika ins Team schaffst, kannst du international Medaillen gewinnen.
Es liegt also nicht an einer speziellen Dopingsubstanz, die es dort gibt?
Nein. Ich war dort und habe mit Usain Bolt und seinem Coach Glen Mills trainiert. Es sind die Wettkämpfe dort. Die sind unglaublich hart. Sie wollen in der Lage sein, mit dem Rest der Welt mitzuhalten, also trainieren sie, um mit dem Rest der Welt mitzuhalten.