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Archiv-Artikel

ORTSTERMIN: MONSTERTRUCK-SHOW IN BERGEDORF Mann fahren Auto platt

In der Familie werden die Stuntmänner von morgen bereits im Vorschulalter herangezüchtet, schließlich „müssen die das hier alle einmal übernehmen“, informiert die Ansagerin

ãuchst du den Sinn deines Lebens?“, fragen neongrüne Plakate vor dem Missionszelt Bergedorf-Frascatiplatz. „Seid ihr bereit für die totale Autozerstööörung?“, schreit eine Frau mit blondem Pferdeschwanz und Hotpants in ihr Mikrofon, keine 20 Meter davon entfernt. Während die biblische Christengemeinde Lübeck versucht, Bergedorf in einem Festzelt zu bekehren, huldigen die Anhänger lauter Motoren ihren PS-Göttern. Oberster Herr im Auto-Himmel: „Born to be wild“, 1.500 PS. Monstertruck made in the USA.

Auf dem Frascatiplatz, wo unter der Woche die Autos nur parken, reihen sich Väter vor dem Eingang der mit Plastikplanen abgesteckten Behelfs-Arena auf. An ihren Armen hängen präpubertäre Söhne. Nur vereinzelt sind sie in weiblicher Begleitung zu sehen. Für 15 Euro wollen sie die 90-minütige Stunt- und Autoakrobatikshow der Artistenfamilie Lemoine bestaunen.

Motocross-Bikes, Quad-Bikes und Monstertrucks. Frontalzusammenstöße, Überschläge und „Killer-Jumps“ über „Killer-Rampen“ – manch braver PKW-Lenker mag neidisch werden beim Anblick all der Zerstörung, der waghalsigen Stuntmänner, der vielen PS. Bereits der vierjährige Nachwuchs der Artistenfamilie darf mit Motorrädern im Miniformat Burnouts auf den Kiesplatz legen. „Sowas hätte ich als Vierjähriger auch gerne gehabt“, sagt ein Bergedorfer Zuschauer.

Die Show beginnt zu spät, aber dafür mit Superlativen. Die Ansagerin spricht vom „härtesten und brutalsten Stuntteam“, den „Autocrasher Number One in Germany“. Das müsse man sich einmal vorstellen, „liebes Publikum auf diesem wunderbaren Parkplatz“, hier sei nichts gefaked, alles echt, das brauche jahrelanges Training. Hart, hart, hart. „In diesem Sinne: einen riesen Applaus, bitteschön!“

Diese Aufforderung wird sie im Verlauf der Show nach jedem Stunt wiederholen. Das Publikum klatscht brav, die Väter doch etwas weniger als ihre Söhne.

Die Show wird mit jedem Stunt „noch fataler“, die Kunststücke sind mal „spektakulär“, mal „überwältigend“, auf jeden Fall werden sie immer „klasse absolviert“, schließlich „kann hier nix passieren“, keine Sorge.

Auch für die Umwelt will man etwas beitragen, deshalb fahren die Stuntautos ohne Öl, dafür mit Leichtbenzin. „Die Auflagen für uns sind heutzutage ja knallhart“, sagt die Ansagerin. Kurz darauf wird in der Platzmitte eine Holzbarrikade mit Benzin übergossen und angezündet. Ein alter PKW brettert hindurch, auf dessen Dach klammert sich ein Stuntman. Ohne Brandkleidung, das sei „noch lebensgefährlicher“.

Mit ihren Live-Stunts will die Familie Lemoine einen Blick hinter die Kulissen von Fernsehshows ermöglichen, klärt die Ansagerin auf. Soeben rammt ein PKW frontal in ein stehendes Auto. Es fliegt in einem Salto durch die Luft. „Traurig aber wahr, solche Crashs passieren auch im richtigen Verkehr.“

Während die Väter der Artistenfamilie mit dem Monstertruck Autos platt walzen, hüpfen die jüngsten Lemoines noch über Mini-Rampen. In der Familie werden die Stuntmänner von Morgen bereits im Vorschulalter herangezüchtet, schließlich „müssen die das hier alle einmal übernehmen“, informiert die Ansagerin.

Sie ist eingeübt durch jährlich rund 250 Shows in ganz Deutschland. Von April bis Oktober ist die Familie mit ihrem 30-köpfigen Team unterwegs, im Winter werden Schäden repariert. So war das schon früher. „Wir machen das von klein an“, sagt Patrick Lemoine, „es muss halt alles irgendwie weitergehen.“ Er und sein Bruder Alexander haben den Betrieb von ihrem Vater übernommen und zum professionellen Stuntteam ausgebaut. Diese Karriere blüht auch ihren Söhnen. Schicksal Stuntman.

Während die Männer Autos zerstören, ihr Leib und Leben im Namen der Unterhaltung aufs Spiel setzen, dürfen die Frauen und Töchter die Kasse betreuen, Würste und Cola verkaufen, 2.50 Euro die Dose. In dieser Welt haben sie ihren Platz hinter der Kulisse.

Nur einmal steht das weibliche Geschlecht im Rampenlicht. „Ein paar mutige Damen aus ihrer Mitte“, werden in die Arena gebeten. Sie dürfen mitfahren, wenn die Stunt-Profis mit ihren Autos auf nur zwei Rädern über den Platz fahren. „Aber ja nicht die Fahrer befummeln.“

Mann fahren Auto platt. Frau dürfen Wurst verkaufen: Du sammeln, ich jagen.

ADRIAN MEYER