: Nachhaltiges Lustwandeln
ÖKO-KUNST Die Wanderausstellung „Zur Nachahmung empfohlen!“ gastiert im Virginia Haus und lädt zum Lustwandeln im Ästhetik-Parcours rund um Gentechnik, Artensterben, Klimawandel und Recycling
VON JENS FISCHER
Aber hallo! Will die Kunst wieder mit politischer Relevanz glänzen und mehr als nur spärliche Öffentlichkeit herstellen? Nicht mehr nur Seismograf, sondern Initiator gesellschaftlicher Veränderungen sein? „Die Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit zeigen künstlerische Praktiken, die zur Erhaltung des Planeten beitragen und Einfluss auf bewusstes Konsumverhalten nehmen wollen“ und „ökonomisch rentabel“ seien, behauptet jedenfalls lautstark die Einladung zur Wanderausstellung „Zur Nachahmung empfohlen!“
Zweifel feuerwerken dem Biosupermarkt-Kunden und Ökostrom-Bezieher durchs aufgeklärte Bewusstsein: Ökologische Kunst, Recycling-Ästhetik, Nachhaltigkeit – schon wieder neue moralische Ideen für einen sofortigen Verzicht? Oder sind solche Begriffe nicht längst verschlissen, so inflationär wie sie benutzt worden sind?
Kritisch neugierig bestapfen wir also erst mal ein Plastiktüten-Bodenmosaik. Es soll daran erinnern, dass solche Objekte in einer Sekunde hergestellt werden, aber 1.000 Jahre zum Verrotten brauchen. Wir stehen atmenden Laubhaufen gegenüber, Lebenskraft-Sinnbild der Natur, durchschreiten unwirkliche Schaumstoffwälder, sehen und staunen.
An Gustavo Romanos „Time Note Project“-Verkaufsstand kann jeder seine individuelle Aufmerksamkeitsökonomie überdenken. „Wofür wollen Sie Zeit haben?“, fragt ein Berater – und präsentiert diese in Gut- bzw. Geldschein-Form als Ware.
Ein Rollenspiel hebt an um eine kostbare Ressource, den Umgang mit ihr und ihre Endlichkeit für jeden von uns. Wen wunderte es da, dass während der Vernissage vorrangig private Zeit-Wünsche geäußert wurden und niemand nach mehr Arbeitszeit verlangte? Dass diese Installation ihre Wirkung – herausgelöst aus dem Kunstkontext – verstärkt im öffentlichen Raum entfaltet, bezeugen zudem Videos einer Performance vor Publikum auf dem Berliner Alexanderplatz.
Dionisio González zeigt seine Version der vietnamesischen Halong-Bucht. Wo vor Jahren James Bond in „Der Morgen stirbt nie“ vor weltwunderhafter Naturkulisse agierte, schwimmen heute Slum-Boote. Fotografisch ästhetisiert Gonzáles diese, um einen Blick fernab von elendstouristischer Betroffenheit zu kultivieren – und so auf die Recyclingpraxis zu verweisen.
Beeindruckend ist Jae Rhim Lees „Infinity Burial Project“, welches die Konzeption eines ökologischen Bestattungssystems beschreibt. Kurz bevor der Körper in einen Container zwischengelagert werden soll, um in einen post-mortalen Komposthaufen verwandelt zu werden, präsentiert er sich noch einmal in einem Beerdigungsanzug. Diesem wurden Pilzsporen eingewebt, die helfen sollen, rein biologisch Methangas, also Energie zu produzieren. Selbst wenn es etwas makaber scheint, tote Körper dem Nützlichkeitsgedanken zu unterwerfen, um ihn gleichzeitig platzsparend zu entsorgen, enttabuisiert Lee auf überraschende Weise den Tod, so dass der Wiedergeburt des Körpers in Form eines Kanisters Ökobrennstoff nichts mehr im Wege steht.
Vielschichtig und mit hohem Spaßfaktor gelingt es dieser Schau, „Nachhaltigkeit“ zu vermitteln. Lustwandeln im Ästhetik-Parcours rund um Gentechnik, Artensterben, Klimawandel, Umweltzerstörung, Recycling: unbedingt zur Nachahmung empfohlen.
■ Fr, 9. 9. bis So, 30. 10., Virginia Haus, Osakaallee 16 – 18