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360 Grad Freiheit

SKATEBOARDS In Afghanistan machen sie Kinder glücklich. In Berlin werden sie Kunst. Zwei sehr unterschiedliche Ausstellungen über Skateboards

VON JAN SCHEPER

Dem grobkörnig glänzenden Foto an der Wand fehlen die entscheidenden, bitteren Details: Es sind keine Panzer, Minenräumfahrzeuge und Versorgungslaster auf einer Landstraße in der Nähe Kabuls zu sehen. Stattdessen findet man am unteren Bildrand etwas so Ungewöhnliches, dass man die Augen, um Schärfe ringend, zusammenkneift – ein junger Mann fährt Skateboard.

Als Oliver Percovich 2007 nach Afghanistan reiste, hatte er auch seine Skateboards im Gepäck. Bald war der Australier umgeben von neugierigen Kindern. Er begann einen ausgetrockneten Brunnen in Kabul als Übungsplatz für die kleinen Interessenten zu nutzen. Percovich kam die Idee, in dem vom Krieg aufgezehrten Land eine Skateschule zu gründen. 2009 entstand das mit Spendengeldern finanzierte koedukative Projekt „Skateistan“. Es wird noch bis Samstag im Hatch Sticker Museum in einer dokumentarischen Ausstellung vorgestellt.

Mittlerweile gibt es in Kabul einen 1.800 Quadratmeter großen Indoorpark, in dem 400 Jungs und Mädchen nicht nur über Halfpipes brettern, Fußball oder Badminton spielen, sondern auch von der projekteigenen Initiative „Back to school“ profitieren. Die Betreuung wird ergänzt durch ein Gesundheitsprogramm für die sonst oft auf der Straße lebenden Kinder.

Neben dem zehnköpfigen einheimischen Projektteam arbeiten vor Ort auch ehrenamtliche Skateistan-Volontäre. Die unabhängige Organisation finanziert sich über Privatspenden und Regierungsgeld. Partner sind unter anderem das deutsche Außenministerium oder der Sportartikelhersteller TSG. Kuratiert wurde die Berliner Ausstellung von Alexandra Bald vom Skateistan e. V. und dem Vertreter des Schweizer Clubs, Joel Sames, der zuletzt selbst sechs Wochen in Kabul war.

Sicherheit auf Brettern

Sames erzählt von den schwierigen Arbeitsbedingungen vor Ort, der Korruption und der Angst vor Anschlägen. In erster Linie überwiege aber die Freude, eine „große positive Wirkung bei den Kindern“ feststellen zu können. Die Sicherheit, die Skateistan seinen Schützlingen bietet, spiegelt sich insbesondere in den über die Museumsräume verteilten Fotografien der Lieblingsplätze der kleinen Skater.

Nicht nur die Fotos haben die Kinder selbst gemacht, sondern diese auch mit Filzstiftzeichnungen übermalt. Die tristen Alltagsorte verwandeln sich so in bunte Paläste, Gärten und Strände. Es liegt keine Banalität in den Collagen, sondern die einfache kindliche Hoffnung auf Frieden. Vielleicht ganz so, wie es das Wappen von Skateistan vorsieht – ein Skateboard zertrümmert ein Maschinengewehr.

Auch im Kunstraum Kreuzberg Bethanien geht es dieser Tage ums Brett. Die Schau „Do Not Think“ zeigt Arbeiten von sechs internationalen Künstlern. Der Austellungsparcours versammelt vielseitige urbane Perspektiven stilsicherer ästhetischer Provenienz: Jacques Florets weichgezeichnete Bilderserie „Trick 01-50“ liefert eine an ein Daumenkino erinnernde Momentaufnahme eines Brettartisten, während Brad Downey im Nebenraum eine Banksy-Installation von 2003 freigelegt hat, als sei hier Pompeji, nicht Kreuzberg. Ein paar Ordnungshüter in Kampfmontur lächeln von der Wand. Über den comichaften Herren mit Engelsflügeln prangt ein verwischter roter Schriftzug – „Every Picture Tells A Lie“.

Die Videokünstler Matthias Leinke und Mischa Wermkauf schicken den Besucher auf eine digitale Fassadenschau, die von Brückengeländern über einen Backsteinschornstein bis in die verdunkelte Kanalisation führt. Dave the Chimp wiederum lässt ein altes Paar Vans, die von Skatern geliebte Turnschuhmarke, in Weiß erstarren und seinen sich in Comickonturen auflösenden Skatehelden von Bild zu Bild springen: „360° Of Alleged Freedom“ – 360° angeblicher Freiheit. Ein Satz, der einen an die Kinder in Afghanistan denken lässt. In der Hoffnung, das „angeblich“ bald zu streichen.

■ „Skateistan – Skateboard School Afghanistan“, Hatch Sticker Museum, Brunnenstr. 196, 3. HH.; bis 17. September ■ „Do Not Think“, Projektraum 1, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2; bis 23. Oktober

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