: Natürlich schamlos
RETROSPEKTIVE Das Münchner Haus der Kunst und Juergen Teller widmen sich dem Erotikfotografen Carlo Mollino
Carlo Mollino (1905–1973) hat Häuser gebaut. Er hat – in Einzelanfertigung – die irrsinnigsten Möbel entworfen und die rasantesten Rennwagen, mit denen er mehrmals bei den 24 Stunden von Le Mans antrat. Bei Kennern stehen seine Möbel hoch im Kurs. 3,8 Millionen US-Dollar etwa war einem Fan 2005 bei Christie’s ein Tisch von 1949 wert. Trotzdem wissen die wenigsten von ihm. Hier will jetzt das Münchener Haus der Kunst Aufklärung leisten mit der großen Werkschau „Carlo Mollino – Maniera moderna“, die heute eröffnet.
Diese Ausstellung wiederum bot dem 032c-Magazin in seiner Sommerausgabe Anlass für eine grandiose Fotostrecke von Juergen Teller und Kristen McMenamy, aufgenommen im Museo Casa Mollino in Turin. Denn bekannt ist das italienische Universaltalent Mollino heute noch am ehesten für seine aufwändig retuschierten Polaroids und Fotografien erotisch kostümierter Frauen, die in einer vom ihm gebauten, nicht mehr existenten Villa und der Casa Mollino, seinem Turiner Apartment, entstanden. Auf diese Bilder bezieht sich Juergen Teller in der Serie „On Carlo Mollino“ – und auf seine eigene Fotoserie mit Kristen McMenamy im SZ-Magazin 1996, mit der er weithin berühmt wurde. Bei McMenamys provokativem Auftritt zierte damals nicht nur ein Lippenstiftherz ihre nackte Brust, sondern auch ein schwerer Bluterguss das rechte Schlüsselbein.
Blau geschlagen ist Kristen McMenamy dieses Mal nicht. Dass sie deswegen weniger verletzlich aussähe, stimmt trotzdem nicht. Und falsch wäre es auch zu glauben, ihr Auftritt sei dieses Mal weniger provokant. Das Model ist inzwischen 43 Jahre alt, was man ihm ansieht. Noch immer ist McMenamys androgyne Figur beneidenswert schlank, doch die Haut wirft über dem Bauch schon kleine Falten. Auch ihre nach wie vor rasanten Beine haben gelitten. Mehr als das Gesicht. Von diesen kleinen Defekten geht freilich eine große Faszination aus. Unbestreitbar bringen ausgerechnet sie die Schönheit und den Sex-Appeal McMenamys zum Vorschein. Dazu kommt die Unbefangenheit, mit der sich das Model in all die grotesken, schiefen Posen begibt, die Teller für sie und mit ihr erfindet. Denn beide wissen, wie wirkungsvoll ausgerechnet in diesem bizarren Gebaren die Anmut der älteren Frau zur Geltung kommt.
Tellers Begeisterung für die alten Mädchen ist Teil seines einzigartig einfallsreichen postmodernen Ikonoklasmus, den er gegen die Ikonisierung in Stellung bringt, der die ganze Leidenschaft des Modernisten Mollino galt. Nicht nur aus selbstreferentiellen Gründen ist für Juergen Teller Kristen McMenamy, deren schöner Körper auch den pornografischen Blick zulässt, eine ideale Besetzung. Denn mit dem Habitus der Unangreifbarkeit, der das Profimodel auszeichnet, ist Schamlosigkeit für Kristen McMenamy eine solche Selbstverständlichkeit, dass die obszönen und pornografischen Momente der Aufnahmen letztlich zunichte, weil zu genüsslichem Spiel, schierer Albernheit wie kunstvoller Pose werden.
BRIGITTE WERNEBURG
■ „032c Magazine“, 21st Issue, Berlin, Summer 2011, 12 Euro
■ Bis 8. Januar, „Carlo Mollino – Maniera moderna“, Haus der Kunst, München