Nach Delfinen gucken

Der Lyriker David Constantine, in England längst kanonisiert, hierzulande noch unbekannt, ist nun in einer zweisprachigen Ausgabe nachhaltig zu entdecken: „Etwas für die Geister“

Manchmal kann man einen Verlag nicht genug loben für den Luxus einer zweisprachigen Lyrikausgabe. Der Fall des Dichters David Constantine ist so einer. Nicht dass die Übersetzer Johanna Dehnerdt und Hauke Hückstädt keine ordentliche Arbeit geleistet hätten. Überwiegend sorgsam, kundig und ungespreizt sind die Texte ins Deutsche übertragen. Schwund ist ja beim Übersetzen immer. Aber es gibt ein paar Charakteristika der Gedichte, die sich beim besten Willen nicht ins Deutsche retten lassen, höchstens per Zufall.

Zuallererst dieser so gelassene Ton, eine unaufgeregte rhetorische Haltung, ein umsichtiges Betasten der Wortfelder, das akribische Montieren an einer feingliedrigen Klangstruktur. Vor allem die Endreime mit ihrer geschmeidigen Beiläufigkeit suchen im Deutschen oft vergeblich ein Pendant. Im vor lauter Schönheit fast schon entrückten Gedicht „Watching for Dolphins“, einem beeindruckenden Versuch über Sehnsucht und Spiritualität, enden die Verse der ersten sechs Strophen auf die Wörter Piraeus, rose, serious, purpose, bows und lose. Dehnerdt und Hückstädt ergreifen die seltenen Gelegenheiten, wenn sich für britische Lakonie und pointierte Klanglichkeit deutsche Entsprechungen finden lassen.

Die erste übertragene Strophe lautet: „Im Sommer, bei jeder Überfahrt nach Piräus / Sah man, wie bestimmte Passagiere / Bald ihre Plätze im Salon aufgaben und unbewusst / Sehr ernst, doch ohne Regung im Gesicht / Durch die Tür zum Bug gingen an die Luft, / In der Hoffnung auf Delphine. Und jede andere Begierde, // Sah man, fiel ab von ihnen“ Jenseits solch unaufdringlicher Findungen bewahren beide eine vornehmlich semantische Contenance. Die klangliche Dichte des Originals ist eh nicht zu erreichen, und wer des Englischen auch nur ein wenig mächtig ist, sollte sich die Texte in der Urfassung halblaut vorlesen. Es lohnt sich.

David Constantine, Jahrgang 1944, zählt in England zu den kanonisierten Autoren seiner Generation. Auf dem Kontinent ist er noch immer weitgehend unbekannt. Es gab Abdrucke in Anthologien. Poetologisches publizierte das Schreibheft folgenlos. Umso verwunderlicher, da Constantine auf der Insel als Dozent für deutsche Literatur am Queen’s College sowie als amtlicher Übersetzer für Hölderlin, Enzensberger und andere abgenickt und feuilletonistisch gesegnet ward. Der Wallstein Verlag liefert mit dieser überschauenden Ausgabe nun die fällige Gegenleistung. Auf satten 160 Seiten findet sich eine Auswahl aus sechs Gedichtbänden von 1980 bis 2002, plus einer kleinen Kollektion bisher unveröffentlichter Texte.

Vielleicht keine spektakuläre Entdeckung, aber eine nachhaltige; denn die Art, in der Constantine seine Sujets behandelt, sucht ihresgleichen. Sei es die Präzision vermeintlicher Naturlyrik, die letztlich einer motivischen Verdichtung und bildlichen Überhöhung dient. Sei es der personale Fokus in gründlich recherchierten historischen Texten (eine eindringliche Serie über „Private J. W. Gleave“, den Soldaten mit der Nummer 8571, der „irgendwo noch vor den Stacheldrähten / Erlosch / In Gas und Nacht und Nebel.“). Sei es eine eigenartige Mischung aus Mitgefühl und beobachtender Distanz in zwischenmenschlichen Belangen. Und immer wieder diese leise Intensität nah am Rande zum Gebet.

Constantines Zeilen aber klingen nicht nur außergewöhnlich, sie können auch sehen. Wie im Gedicht „Miranda in der U-Bahn“: „ihre Augen schienen / Hände zu sein, die uns ertasteten, ungläubig, / Uns, die Menschen, Phänomene.“

David Constantine: „Etwas für die Geister“. Aus dem Englischen von Johanna Dehnerdt und Hauke Hückstädt. Wallstein Verlag, Göttingen 2007, 160 Seiten, 19 Euro