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Archiv-Artikel

Kinder an die Frühstücksfront

Warum sind Eltern eigentlich immer schuld, wenn es um die lieben Kleinen geht?

Industrie und Mittelstand bieten nicht genügend Arbeitsplätze für Kinder an

Schuld haben immer die Eltern. Das war nie anders, das wird ewig so sein. Egal, welchen Mist die Brut verzapft hat, die Eltern sind es, die für ihre Blagen in die Haftung oder sogar – wenn’s ganz dicke kommt – in Haft genommen werden; so sieht’s doch aus. Ganz gleich, ob es nur der Schlüpfer ist, den die Kinder der Oma aus der Schmutzwäsche klauen, um ihn bei Ebay zu „verticken“, oder der ICE, den sie „nur mal so aus Spaß“ zum Entgleisen bringen. Als Eltern steht man quasi ständig mit einem Bein im Gefängnis. Ein Glück, dass man zwei davon hat.

Im Moment allerdings könnten manch Elternteile gut und gern ein, zwei Beine mehr gebrauchen, derart knüppelharten Vorwürfen sehen sie sich in der Öffentlichkeit ausgesetzt. Der Grund: Die Kinderarmut, wie es jetzt allenthalben durch die Medien knattert. Nie zuvor ist die höher gewesen in Deutschland, wurde ermittelt. Nie gab es hierzulande derart viele arme Kinder, so die verbreitete Klage. Und wer hat Schuld? Sie ahnen es.

„Kinder leben in Armut, weil Eltern keine Arbeit haben“, sagt etwa Familienministerin von der Leyen. Damit schiebt auch sie den schwarzen Peter namens Kinderarmut den Eltern zu. Dass es vor allem die Kinder sind, die keine Arbeit haben, erwähnt sie lieber erst gar nicht. Weil sie dann einräumen müsste, dass Industrie und Mittelstand nicht genügend Kinderarbeitsplätze zur Verfügung stellen? Von wegen. Wer in diesem Land Arbeit will, findet auch eine, wie man spätestens seit Hartz IV weiß. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum das nicht auch für Kinder gelten sollte.

Warum dann trotzdem so viele Kinder ohne festen Job und geregeltes Einkommen sind? Weil sie schlichtweg „keinen Bock“ haben. Niemand weiß das besser als ihre Eltern. „Das fängt schon beim Spülmaschine-Ausräumen an und hört beim Rasenmähen noch lange nicht auf“, sagt etwa Hanno Schamoni, zweifacher Vater aus Wühlen-Styr. Auch Rose Buchsbaum, alleinerziehende Mutter dreier Zwillinge aus Monsterbaur, weiß: „Die Damen und Herren Kinder sind sich oft schon für die einfachsten Handgriffe zu fein.“ Ihr aktueller Freund und Kupferstecher, Jugendpfarrer Rolf Geräusch aus Schwelm, ergänzt: „Dabei steht doch schon in der Bibel … – oder war es Lenin, der sagte: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“

Oder wie das Nachrichtenmagazin Focus unlängst schrieb: „Immer wieder fallen Kinder im Schulunterricht von den Stühlen.“ Ja, haben denn die Stühle keine Lehnen? Doch das ist laut Focus gar nicht der Grund. Vor Hunger kippen die armen Kinder von ihren Sitzen, behauptete das Magazin. Und das nur, weil die Eltern kein Geld und keine Zeit haben, ihnen morgens was zum Frühstück zu machen. „Aber sonst geht’s noch gut!“, rief Solveig Soll aus Iserlohn, Mutter eines schulpflichtigen Backfischs, spontan in der Redaktion an, um „den Typen da mal ganz gehörig die Meinung zu geigen“. Wie die denn darauf kämen, dass Eltern ihren Kindern ein Frühstück zu machen hätten, wollte sie den Medien in der Frühstücksfrage ein für alle Mal „die Wurst vom Brot zu nehmen“, wurde aber nicht durchgestellt.

Also bleibt vorerst alles wie es ist: Keine Arbeit, kein Geld, keine Zeit, kein Frühstück. So lautet der gar nicht so harmonische Vierklang der angeblichen Elternschuld an der Armut ihrer Kinder. Dass in Wirklichkeit die Kinder zu faul sind, keine Lust auf Geldverdienen und nie Zeit haben, den Frühstückstisch zu decken, wissen nur die, denen man diese Defizite ständig vorwirft: die Eltern. Wird Zeit, dass sich das bald ändert und die Kinder ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand nehmen, statt immer nur ihre Eltern in die Pflicht. Von den Großeltern gar nicht zu reden. FRITZ TIETZ