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Archiv-Artikel

„Wir wollen anerkannt sein“

INTEGRATION Die Perspektiven interkulturellen Theaters werden auf einem Symposium in Hamburg diskutiert. Initiator Canbay über Kunst, die integriert

Mahmut Canbay

■ 52, kam 1991 als politisch verfolgter Kurde aus der Türkei nach Hamburg. 2005 gründete der studierte Lehrer das Hamburger Mut-Theater mit, das er als Intendant leitet. Foto: Mut-Theater

taz: Herr Canbay, Angela Merkel erklärte Multikulti für gescheitert. Welche Auswirkungen hat dies auf ein interkulturelles Theater?

Mahmut Canbay: Für mich ist nur das politische Konzept gescheitert. In der Gesellschaft läuft der interkulturelle Dialog. Die Menschen begegnen sich überall. Die da oben sagen: Das klappt nicht. Wir versuchen mit dem Mut-Theater das Gegenteil zu beweisen.

Was bedeutet interkulturelles Theater?

Menschen mit Migrationshintergrund nehmen eine Menge mit: Erlebnisse, Trauma, Konflikte, Träume, Sehnsüchte. Das alles wird auf der Bühne thematisiert. Wir leisten aber auch Theaterpädagogik. Bei uns wirken Jugendliche mit Problemen mit, deren Geschichte wir auf der Bühne bearbeiten und mit deren Erfahrungen wir uns auseinandersetzen. Dadurch können sie sich langsam aus ihrem teils gewaltsamem Milieu zurückziehen, werden selbstbewusster und verantwortungsvoller.

Wie fördert Theater die Integration sonst noch?

Susanne Keuchel von der Uni Bonn zum Beispiel stellte fest, dass die Mehrheit der Leute mit Migrationshintergrund, die sich in Deutschland wohl fühlen, mit Kunst zu tun haben. Das heißt: Kunst integriert. Für Migranten ist es schwierig, in privaten Kontakt mit Deutschen zu kommen. Wenn du ins Theater gehst, hast du die Möglichkeit, mit Leuten zu reden. Über Kunst treffen Menschen aus verschiedenen Kulturen aufeinander.

Sie organisieren ein Symposium über interkulturelles Theater. Was sind dessen Ziele?

Neben der Frage, wie Theater die Integration fördert, diskutieren wir eine passende Definition für unsere Theaterarbeit: Sind wir interkulturell, multikulturell, post-migrantisch? Einerseits wirkt die Schublade „Menschen mit Migrationshintergrund“ diskriminierend. Andererseits kämpfen wir dafür, anerkannt zu werden. Das ist ein Paradox. Es wäre toll, wenn wir nicht mehr „Multikulti“ sein müssten. Dieser Begriff ist eigentlich nicht mehr nötig. Zudem werden wir zu oft in die sozialpädagogische Ecke geschoben und nicht wirklich als Theater wahrgenommen.

Von wem?

Von anderen Theaterhäusern, der Presse, den Kulturämtern. Wir werden nicht so gefördert wie andere Theater, obwohl wir viele Produktionen haben. Da stellt sich manchmal die Frage: Gehören wir dazu? Sind wir die Anderen? Die Politik betont ja immer wieder: Wir gehören zusammen, wir haben keine Unterschiede. Aber in der Praxis sind wir immer noch die Anderen.

Ein Beispiel?

Einmal wollte ich Friedrich Schillers „Maria Stuart“ inszenieren. Von der Behörde hat mir jemand gesagt: Vielleicht können Sie das irgendwie kurdisch-türkisch inszenieren. Ich habe gemerkt: Nur weil ich interkulturell bin, wird von mir erwartet, dass ich unbedingt etwas von meiner Kultur zeige.

Wie gehen Sie auf der Bühne mit Klischees um?

Das ist sehr schwierig. Ohne Klischees geht es nicht. Auf der Bühne versuchen wir Klischees so zu zeigen, dass sie lächerlich sind. Klischees sind ein wunderbares Instrument, um Tabus zu thematisieren. Man muss aber stets darauf achten, vorhandene Klischees nicht zu bestätigen.

Langsam beginnen die großen Schauspielhäuser, sich mit dem Thema Migration zu beschäftigen.

Die Schauspielhäuser haben dieses Thema bis jetzt verschlafen. Langsam entdecken sie aber diese Nische. Sie sind dabei, im interkulturellen Bereich Stücke auf die Beine zu bringen oder die interkulturelle Szene zu kontaktieren. Auf unserem Symposium möchten wir deshalb diskutieren, wie eine Zusammenarbeit der großen Häuser mit interkulturellen Gruppen aussehen könnte.

Müssten sich die Schauspielhäuser von ihrer Insel der deutschen Hochkultur verabschieden?

Sie sollten sich öffnen für interkulturelle Dialoge. Die Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund nimmt zu. Da stellt sich nicht nur die Frage, welche Konflikte diese Menschen erfahren, sondern auch, welchen Kunstanspruch sie haben.INTERVIEW: ADRIAN MEYER

Symposium „Interkulturelles Theater“: 22. und 23. September, Mut- Theater, Amandastr. 58, Hamburg, jeweils ab 10 Uhr