: Das Konzept Zweitfrau
EHEN Wie leben Frauen in einer Gesellschaft, in der Männer mehrfach heiraten dürfen? Vier Begegnungen in Nigeria
ASMIN IBRAHIM ÜBER DIE ZWEITFRAU IHRES MANNES
VON BETTINA GAUS
Die 40 Jahre alte Universitätsdozentin Maryam Yelwa, die in der nordnigerianischen Stadt Minna lebt, ist eine religiöse Frau. Sie schickt ihre Kinder fünfmal in der Woche nachmittags in die Koranschule. Yelwa entspricht aber nicht dem Bild, das sich viele in Europa von einer gläubigen Muslima machen. Kämpferisch ist sie, und sie will beruflich erfolgreich sein. „Ich bin keine Feministin, aber ich werde sehr, sehr wütend, wenn Frauen diskriminiert werden.“
Maryam Yelwa zieht ihre beiden Kinder alleine groß, ihr ehemaliger Mann ist keine Hilfe. „Ich habe das Sorgerecht bekommen, und er zahlt keinen Unterhalt für die Kinder.“ Trotzdem liegt ihr daran, dass der Kontakt nicht abreißt: „Dem islamischen Gesetz zufolge gehören die Kinder dem Vater. Später, wenn eines heiratet, dann muss der Vater zustimmen – egal, ob er sich um seine Verantwortung gedrückt hat oder nicht. Es wäre furchtbar, vor allem für den Sohn, wenn man sagen würde: ‚Oh, wir kennen nur die Familie der Mutter, nicht die des Vaters.‘“
Lieber Zweitfrau als allein
Die Architekturdozentin würde gerne noch einmal heiraten, sie kann sich auch gut vorstellen, Zweitfrau zu sein. „Ich halte Polygamie für eine gute Idee. Niemals würde ich die Geliebte eines verheirateten Mannes sein wollen.“ Das vertrage sich nicht mit ihrer Würde. „Der Koran erlaubt es Männern, bis zu vier Frauen zu heiraten.“
Maryam sind die Nachteile und Fallstricke einer polygamen Familie nicht fremd. Ihr Vater hat selbst mehrfach eine zweite Frau geheiratet. „Das erste Mal muss irgendwann in den Siebzigern gewesen sein, aber die Ehe hielt nicht, und sie ließen sich scheiden.“ Als der Vater zum zweiten Mal eine zweite Frau heiratete, war die Tochter 16 Jahre alt. „Ich habe sie kaum gekannt. Meine Mutter lebte mit uns Geschwistern in der Provinz, mein Vater arbeitete in Lagos. Und wenn wir ihn besuchten, war sie nicht da.“ Auch diese Ehe endete mit einer Scheidung. Die Hochzeit mit der dritten Zweitfrau fand 1988 statt. Mag Maryam sie? „Ich verabscheue sie nicht.“ Nach einem kurzen Zögern: „Ein polygames Familienkonzept ist immer schwierig. Es gibt viele Intrigen.“
Und trotzdem würde sie gerne eine Zweitfrau sein? Einerseits sträuben sich mir die Haare, wenn eine so kluge und selbstbewusste Frau es für selbstverständlich hält, im Wortsinne die zweite Geige zu spielen. Andererseits verstehe ich, wenn eine 40-jährige Mutter von zwei Kindern keine Lust hat, den Rest ihres Lebens alleine zu verbringen. Sie ist attraktiv – stattlich ist das Wort, das mir zu ihrer Erscheinung einfällt. Aber wie groß wären ihre Chancen, einen unverheirateten Mann in ihrem Alter zu finden?
Vielleicht wäre sie als Zweitfrau tatsächlich glücklicher als alleine. Aber hätte nicht auch die erste Frau ein Wort mitzureden? Könnte Maryam verstehen, wenn die sich gegen eine solche Entwicklung wehren würde? Nein, das kann sie nicht – sie reagiert auf die Frage sogar zornig: „Jede Frau, die in dieser Kultur hier erzogen worden ist, hatte wirklich genug Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen.“
Asmin Ibrahim sieht das anders. Sie gehört zu den Frauen, die sich nach Ansicht von Maryam an den Gedanken hätten gewöhnen müssen, und in der Tat betont sie, in religiöser Hinsicht sei die Polygamie selbstverständlich – winzige Pause – „akzeptabel“. Sie möchte keinesfalls falsch verstanden werden. Bei einem weiteren Gespräch am folgenden Tag bekräftigt sie ausdrücklich, dass ihr nichts ferner liege, als grundsätzliche Kritik an der Regelung üben zu wollen. Aber das ändert nichts daran, dass sie unglücklich ist. Vor zwei Jahren hat ihr Mann eine zweite Frau geheiratet – nach 22 Jahren als einzige Ehefrau.
Traurig als Nummer zwei
Asmin Ibrahim lehrt Geografie an der Bayero-Universität von Kano, der zweitgrößten Stadt Nigerias. Einige Zeit lebte sie in Hongkong, um zu promovieren. „Als ich weg war, hat seine Familie auf ihn Druck ausgeübt, sich eine weitere Frau zu suchen. Mit dem klassischen Argument: Ein Mann kann seine Bedürfnisse nicht kontrollieren, deshalb ist es besser, wenn er heiratet, statt dass er sich herumtreibt.“ Am Ende gab ihr Mann nach.
„Mein Sohn rief mich an und sagte: Er wird heiraten.“ Was Mutter und Sohn bei diesem Gespräch empfunden haben mögen, wird gerade durch die knappe Sachlichkeit deutlich, mit der sie die Szene schildert. Bloß keine Gefühle durchschimmern lassen, sonst könnten die Dämme brechen. Drei Kinder hat das Ehepaar, die jüngste ist 17, der älteste 22 Jahre alt. „Unsere Kinder sind gut erzogen. Sie sind zu der zweiten Frau nicht unhöflich. Sie ziehen sich lediglich zurück.“
Das hat Asmin Ibrahim auch versucht. Als sie nach Abschluss ihrer Promotion aus Hongkong zurückkehrte, zog sie zunächst bei ihren Eltern ein. Inzwischen hat sie wieder eine eigene Wohnung und sich mit der neuen Situation arrangiert – so gut es ihr möglich ist. Ihr Mann lebt mit der zweiten Frau in einer anderen Stadt und besucht sie alle drei Wochen für ein paar Tage. „Ich fühle mich, als ob ich Brosamen bekomme. Manchmal mache ich eine Szene, manchmal macht sie eine Szene. Und er ist dann unglücklich.“ Fühlt er sich schuldig? „Nein.“
Asmin Ibrahim ist eine anziehende, gepflegte Frau. Sie lächelt oft und herzlich. Aber eine Traurigkeit, sogar Bitterkeit, liegt hinter jedem Lächeln. „Eine Scheidung kommt nicht infrage. In meiner Generation lässt man sich nicht einfach scheiden. Ich muss auch an das Wohlergehen meiner Kinder denken. Außerdem hätte ich es sehr schwer, einen neuen Mann zu finden, und eine alleinstehende Frau wird nicht so respektiert wie eine verheiratete.“ Lange Pause. Dann sagt sie heftig: „Es ist nicht fair, was er tut.“
Dass Maryam Yelwa als Zweitfrau zufrieden wäre, überrascht Asmin Ibrahim nicht. „Natürlich akzeptiert sie das. Wenn du nicht verheiratet bist, dann möchtest du eben irgendwo hingehören. Und sobald du älter bist als 35, hast du keine Chance mehr, einen Junggesellen zu finden. Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als sich zu bescheiden.“ Asmin Ibrahim kann die zweite Frau ihres Mannes nicht leiden. „Ich mag sie einfach nicht.“ Sie lacht freudlos. „Selbstverständlich bin ich eifersüchtig.“
In Kano wohnen auch die 29-jährige Halima Idris und ihre sechs Jahre jüngere Schwester Hadiza. Die Bankkauffrau und die Dolmetscherin leben noch bei den Eltern, einem wohlhabenden Ehepaar. „Es wäre sozial nicht akzeptabel, wenn wir als unverheiratete Frauen eigene Wohnungen hätten“, sagt Halima. Sie sind gehorsame Töchter, die sich den Normen ihrer Gesellschaft anpassen.
Beide Schwestern wünschen sich einen Ehemann und Kinder, auch wenn sie von vielen Männern keine so hohe Meinung zu haben scheinen: „Viele Männer verstehen den Islam falsch. Sie sehen uns irgendwie als Sklavinnen und glauben, dass eine Frau den Mann nicht kritisieren darf. Aber so ist das im Islam nicht gemeint“, sagt Halima, und ihre Schwester nickt. Könnten sich die beiden vorstellen, Zweitfrau eines Mannes zu sein? Allein die Frage löst schallendes, fast höhnisches Gelächter aus: „Ich würde definitiv sagen: Nein!“, stößt Halima hervor, und ihre Schwester sekundiert: „Ich auch, ich auch, ich auch, ich auch!“ So weit ich das beurteilen kann, sind die jungen Frauen noch nicht auf derlei Anfragen angewiesen.
Der 59-jährige Muhammed Liman Abukabar, Universitätsdozent für Stadtplanung, ist mit zwei Frauen verheiratet und hat 13 Kinder im Alter zwischen zwei und 30 Jahren. Beide Ehefrauen sind hoch gebildet – die eine ist ebenfalls Dozentin, die andere Bibliothekarin – und angeblich verstehen sie sich alle gut und respektieren einander. „Mein Vater hatte vier Ehefrauen. Als Heranwachsender habe ich mir geschworen, dass ich niemals polygam leben würde. Ich hatte Angst vor Streit und Rivalitäten. Aber als ich dann verheiratet war, da hatte ich Freundinnen und ging gerne alleine aus. Bis ich mich fragte: Warum tue ich das? Wenn ich nicht zufrieden bin – warum heirate ich nicht noch einmal?“
Die erste Ehefrau sei mit seiner Entscheidung zunächst nicht einverstanden gewesen: „Ich habe erkannt, dass sie fürchtete, Zuwendung und Ansehen zu verlieren, und ich habe ihr versprochen: Du wirst gar nichts verlieren.“ Jetzt leben alle gemeinsam in demselben Haus und finden das wunderbar. Sagt Muhammed Liman Abukabar.
■ Dieser Text ist eine bearbeitete Passage aus dem Buch „Der unterschätzte Kontinent“ (Eichborn, 19,95 Euro). Bettina Gaus bereiste dafür 16 Länder Afrikas und traf Angehörige der Mittelschicht – jenen Teil der Bevölkerung, der in der öffentlichen Wahrnehmung des Auslands weitgehend unsichtbar bleibt zwischen Meldungen über Kriege und Katastrophen.
■ Die Autorin war Afrikakorrespondentin und ist heute politische Korrespondentin der taz in Berlin. In der sonntaz schreibt sie alle zwei Wochen die Kolumne „Macht“