: Beschleunigung im freien Fall
Wird Eintracht Braunschweig innerhalb eines Jahres von der zweiten in die vierte Fußball-Liga durchgereicht? Bei der 1 : 4-Niederlage gegen Wuppertal war die Mannschaft überfordert
Dass die Braunschweiger Angst vor dem Doppelabstieg begründet ist, belegt der Fall des FC St. Pauli: 2002/2003 stieg der Kiez-Club innerhalb eines Jahres von der ersten Bundesliga in die Regionalliga ab. Nur mit einer bespiellosen Rettungskampagne wurde der Zwangsabstieg in die vierte Liga abgewendet. Erst nach vier Jahren kehrte St. Pauli in die zweite Bundesliga zurück. Im kommenden Jahr werden Regionalliga Süd und Nord zu einer gemeinsamen, dritten Profiliga zusammengefasst. Zur Teilnahme berechtigt der zehnte Platz, von dem Eintracht Braunschweig nach sieben Spieltagen schon acht Punkte trennen. taz
AUS BRAUNSCHWEIG LARS GEIGES
Bei Eintracht Braunschweig ist es üblich, dass Präsident Gerhard Glogowski mit einigen Worten an die Zuschauer einen jeden Punktspielnachmittag eröffnet. Diesmal wünschte sich der frühere niedersächsische Ministerpräsident vor dem Heimspiel gegen den Wuppertaler SV, dass „der Knoten endlich gebrochen“ werde. Schließlich glückte dem Traditionsverein seit dem Abstieg aus der zweiten Liga noch kein einziger Sieg.
Auch gegen den Tabellenzweiten aus Wuppertal war nach 38 Minuten besiegelt, dass die Hoffnungen des Präsidenten sich nicht erfüllen würden. Die Gäste waren durch zwei Tore von Mahir Saglik (15./28.) in Führung gegangen und der kurz zuvor eingewechselte Braunschweiger Verteidiger Kosta Rodrigues nach einer Notbremse vom Platz geflogen (38.). Die Südtribüne des Stadions an der Hamburger Straße, wo die treuesten Fans stehen, begann sich zu leeren und auch die verbliebenen der knapp 13.000 Anhänger stellten ihre Unterstützung weitestgehend ein.
Bereits nach der letzten Heimniederlage gegen Union Berlin protestierten mehrere hundert Fans vor dem VIP-Zelt. Vergangene Woche trugen etwa 200 Anhänger einen blau-gelben Sarg durch die Braunschweiger Innenstadt, als Symbol für den Niedergang des einstigen Deutschen Meisters. Und auch nachdem Damm (59.) und Saglik (87.) der überforderten Eintracht zwei weitere Gegentreffer verpassten und das 1 : 4 durch Holger Wehlage (90.) die Braunschweiger Gemüter nur wenig beruhigte, sammelten sich wieder einige hundert Fans vor der Geschäftsstelle des Vereins, um den Rücktritt des Vorstands zu fordern, in dem sie den Hauptgrund für die sportliche Dauerkrise vermuten. Das Diskussionsforum der Fans auf der Internetseite des Vereins wurde bis auf Weiteres geschlossen, weil ein Anhänger dazu aufgerufen hatte, den Vorstand „zu teeren und zu federn“.
Dabei betont Trainer Benno Möhlmann immer wieder, er allein habe den Kader zusammengestellt und trage deshalb auch die Verantwortung für die sportliche Leistung. Für 6,5 Millionen Euro durfte er einkaufen – ein für die Regionalliga fürstlicher Etat. Während der Woche konnte Möhlmann erstmals den Eindruck haben, er habe nicht alles fehlinvestiert. Seinen Braunschweigern gelang immerhin ein torloses Unentschieden bei Rot-Weiss Essen. Ein Erfolg, gemessen an den letzten Resultaten der zutiefst verunsichert wirkenden Mannschaft. Insgesamt kassierten die Braunschweiger schon fünf Niederlagen bei lediglich zwei Unentschieden und parken somit weiterhin auf dem letzten Tabellenplatz.
Gerade in dieser Saison wäre ein Abschneiden unterhalb von Rang zehn verheerend. Denn das würde den direkten Abstieg in die Viertklassigkeit bedeuten, wenn aus den beiden Regionalligastaffeln eine einzige dritte Profiliga gebildet wird. „Angesichts dieser schwierigen Situation gibt es hier noch viel zu wenig Protest“, sagt Möhlmann deshalb. Er weiß, dass sich der Verein von dem drohenden sportlichen Super-Gau wahrscheinlich über Jahrzehnte nicht erholen würde. Bereits sieben Punkte entfernt ist dieser 10. Tabellenplatz.
Dabei schien es zunächst nicht möglich, die vergangene Spielzeit an negativen Schlagzeilen noch zu toppen: Fünf Übungsleiter und vier Manager verschliss der Klub binnen eines Jahres. Dazu kamen Reibereien auf der Funktionärsebene. Als Hauptsponsor Jochen Staake im Herbst letzten Jahres Trainer und Manager entließ und die Macht des langjährigen Präsidenten Glogowski beschnitt, schien die Rettung des Vereins möglich. Staakes Millionen bescherten dem Verein neue Spieler und mit Willi Reimann einen profilierten Übungsleiter. Allein, der Erfolg blieb aus. Das kostspielige Projekt zur Rettung des Vereins scheiterte und der im Geschäftsleben so erfolgreiche Unternehmer Staake zog sich zurück – vorerst zumindest. Denn nun buhlt Staake um den Aufsichtsratsvorsitz der noch zu gründenden Gesellschaft, in die die Profiabteilung auslagert werden soll. In einer Woche stimmen die Vereinsmitglieder ab. Staakes einziger Konkurrent um den Posten ist ein alter Bekannter: Gerhard Glogowski.