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Archiv-Artikel

„Eier in der Hose“

FÖRSTERLEBEN Früher war Stephan Horn ein Jagdgegner, der mit dem Ansägen von Hochsitzen sympathisierte. Heute sitzt er selbst auf dem feuchten Brett und wartet, dass ihm Tiere vor die Flinte laufen. Geschichte eines Sinneswandels

AUS DEM FORST JAN-PAUL KOOPMANN

Als Jugendlicher fand Stephan Horn* das Jagen noch ziemlich bescheuert. Er war ein Linker, zwar kein Vegetarier, aber irgendwie doch gegen das Töten von Tieren – und ganz bestimmt gegen jene Menschen, die es gerne tun. Ein paar Jahrzehnte später sitzt er mit einem geladenen Gewehr im Mondlicht auf einem Hochsitz und wartet auf die Dämmerung – und auf das Wild, das vom nahen Feld zurück in die vermeintliche Sicherheit des Waldes kommt.

Horn ist Förster geworden und das Jagen gehört zu seinem Beruf. Es ging ihm natürlich um was anderes: draußen in der Natur weitgehend selbstbestimmt zu arbeiten und solche Sachen. Die Stadt kann er nicht leiden und für „Sozial- oder Kulturkram“ sei er „einfach nicht gemacht“. Und die Jagden, die gehören eben dazu. Die großen Termine mit den Kollegen sind ganz offiziell Pflicht und gelten sogar als Arbeitszeit. Aber an diesem nassen Januarmorgen sitzt er freiwillig bei knapp vier Grad hier draußen im Wald.

Von einem Förster erwartet man es nicht anders. Wenn der Betrieb dem Abschussplan hinterher hängt, werde den Kollegen schon Druck gemacht, sagt Horn. Aber auch untereinander gelte es, sich was zu beweisen: „Man will schon zeigen, dass man Eier in der Hose hat“, sagt er ohne Ironie in der Stimme.

Mit dem Sonnenaufgang gewinnt der matschige Waldboden an Farbe: fast leuchtende Brauntöne im Buchenlaub. Schön ist es hier trotzdem nicht. Der Grund wurde von den schweren Fahrzeugen der Waldarbeiter aufgewühlt und in den Furchen steht das Regenwasser. Viele Bäume sind mit grellen Markierungen besprüht. Horn behält den Waldrand im Auge, die Feldkante und eine kleine Senke, in der das Wild Schutz vor dem Wind suchen könnte.

Der Hochsitz wirkt bei Licht viel kleiner als noch in der Nacht. Er ist aus grob zurechtgesägten Latten gezimmert, durch die nun der Wind pfeift. Gemütlich geht es nicht zu bei diesem vom Arbeitgeber verordneten Hobby. Immerhin kann Horn das geschossene Wild hinterher mit Rabatt kaufen.

In Arbeitshose

Er sitzt in fleckiger Arbeitshose und Fleece-Pulli so ruhig es eben geht auf dem feuchten Brett. Nur Horns Gummistiefel wippen hin und her, weil die Kälte langsam in seine unbewegten Knochen zieht. Die meisten Kollegen gingen in dieser praktischen Kleidung auf die Jagd, sagt er. Noch gebe es ein paar grüne mit Hut und Feder ausstaffierte Waidmänner, „aber die sterben aus“.

Andere Traditionen halten sich dafür umso hartnäckiger. So hofft Horn inständig, dass ihm heute kein Hirsch vor die Büchse läuft. „Sonst muss ich das Scheißgeweih auskochen und für die Trophäensammlung fertig machen“, sagt er. Irgendjemand habe sich mal überlegt, wie ein deutscher Hirsch aussehen müsse. Die Geweihe sollen die Güte des Bestands dokumentieren und den Trophäensammlern so die erfolgreiche Hege des Waldes bescheinigen. „Biologisch ist das natürlich totaler Bullshit“, sagt Horn. Über solche Sachen kann er sich richtig ärgern.

Aber eigentlich hat er sich schon wegen des Damwilds auf den Weg gemacht – oder für ein Wildschwein. Davon hat er hier mal eins geschossen: einen 70 Kilo schweren Brocken, den er dann allein aus den Brombeer-Sträuchern bergen und zum Auto schleppen musste. Ein paar Stunden habe das gedauert, sagt er. Und da entstehe schon ein sonderbares Verhältnis zur erschossenen Kreatur. „Irgendwann habe ich ihn Mickey getauft“, sagt Horn.

Nicht nur das Ausnehmen, auch das eigentliche Töten nennt er „Drecksarbeit“. Und die wolle er niemand anderem aufdrücken. „Die Verantwortung kann man nicht abgeben“, sagt er. Dieses Wort gebraucht er öfter. Und noch ein anderes: „Feigling“. Ob man das ist, zeigt sich für Horn dann, wenn ein Tier – anders als Mickey – nicht sofort tot umfällt. In seiner Anwärterzeit musste Horn häufiger mit Hunden raus, um Wild zu finden, das andere angeschossen und laufengelassen haben. Die mit Feuerwaffen zu erledigen, ist wegen der Hunde gefährlich und das Zielen auf die verängstigten und verwundeten Tiere ist schwer. Am besten gehe es mit dem Messer, sagt Horn – „Aber das muss man dann auch fertigbringen“.

Messer in der Hand

Mit Respekt erzählt er von einem Jäger, der aus zu großer Entfernung auf eine Wildsau abgedrückt habe und sie an der Niere erwischte. Die Schmerzensschreie seien kaum zu ertragen gewesen. „Da ist der mit dem Messer in der Hand losgestürmt, hat die Hunde zur Seite getreten und das Tier erledigt.“

Solche Geschichten haben viele Jäger auf Lager. Dass Leid der Tiere kommt durchaus darin vor – aber als etwas, das es eben auszuhalten gelte. „Jäger sind entweder Zyniker oder totale Empathie-Legastheniker“, sagt Horn. Als Anwärter spreche man immer mal wieder über Sinn und Zweck des Ganzen. Später nicht mehr – oder nur, wenn man sich gegenüber Außenstehenden rechtfertigen müsse. „Wenn da wirklich mal jemand Selbstzweifel haben sollte, behält er sie für sich“, sagt Horn.

Dass Horn früher Jagdgegner war und auch schon mal vom Hochsitz-Ansägen gesprochen hat, hat er nicht vergessen. Sein Sinneswandel klingt eher pragmatisch: Er argumentiere forstwirtschaftlich für den Schutz der Bäume, sagt er – „Und dann muss ich auch selbst jagen“. Alles andere wäre unglaubwürdig. Klar könne man die Natur auch sich selbst überlassen, aber dann ließe sich mit dem Holz kein Profit mehr erwirtschaften. Solange das Land jemandem gehöre, der Einnahmen damit erzielen müsse, komme man um die Jägerei nicht herum.

Heute allerdings stellt sich das Problem nicht: Kein Tier lässt sich blicken. „Immer gut, wenn’s nicht an einem selbst liegt“, sagt er. Wie manche Kollegen mit einem „Frusthasen“ nach Hause gehen, will er nicht. Dann zählt er auf, was zu berücksichtigen ist: Nach mondlosen Nächten sei es einfacher, weil die Tiere ihre Aktivität auf die Dämmerung verlegten. Die Windrichtungen seien wichtig und natürlich auch, welches Futter zu welcher Jahreszeit gesucht werde.

Jagen ist für Horn mehr als nur das Töten, und für diese handwerklichen Fragen kann er sich wirklich begeistern. Und weil er ehrgeizig ist und besser werden will, geht er seinem Pflicht-Hobby dann im Grunde doch ganz gern nach.

*Name geändert