: Zwei sind einer zu viel
In den Bussen der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein und der Pinneberger Verkehrsgesellschaft wird nur noch jeweils ein Rollstuhlfahrer mitgenommen. Schuld daran ist eine EU-Richtlinie von 2005, die die Sicherheit gewährleisten soll
Der Bus ist für Rollstuhlfahrer in Hamburg das wichtigste öffentliche Verkehrsmittel. Das Netz ist dicht, die nächste Haltestelle nicht weit – und vor allem: 100 Prozent der Hamburger Busse sind „niederflurig“ und somit für Rollstühle zugänglich, wohingegen nur knapp 40 Prozent der U- und S-Bahn-Stationen über einen Aufzug verfügen. Rollstuhlfahrer müssen aber seit einiger Zeit damit rechnen, nicht mehr mit dem Bus ihrer Wahl fahren zu können. Und zwar dann, wenn bereits ein anderer Rollstuhlfahrer an Bord ist.
Die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH) und die Pinneberger Verkehrsgesellschaft (PVG) haben mit ihrer Dienstanweisung ein bereits seit zwei Jahren gültiges EU-Recht zur Sicherheit bei der Personenbeförderung umgesetzt. Demnach dürfen in Bussen nur so viele Rollstuhlfahrer mitgenommen werden, wie es in der Zulassungsbescheinigung ausgewiesene Plätze gibt. Und das ist in der Regel nur einer. Obwohl bereits seit 2005 gültig, sei die Richtlinie erst vor kurzem aufgefallen, erklärt Rolf Westphalen, Pressesprecher der beiden Verkehrsbetriebe. „Wir müssen geltendes Recht nun umsetzen“, sagt er. Busfahrern drohe bei einem Verstoß gegen die Regelung 50 Euro Geldbuße und ein Punkt in Flensburg.
Bisher hatte es im Ermessen der Busfahrer gelegen, wie viele Rollstuhlfahrer einen Platz finden konnten. In besonderen Härtefällen soll das bei den Bussen der Hamburger Hochbahn auch so bleiben, sagt deren Sprecher Christoph Kreienbaum. Im Übrigen halte man sich natürlich auch an die Regelungen. „Wir versuchen derzeit, eine kundenfreundliche Lösung hinzubekommen“, sagt Kreienbaum. Stephan Richter von der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen (LAG) findet, die Lösung müsse entweder sein, einen zweiten Platz für Rollstuhlfahrer einzurichten oder eine Änderung der Verkehrsordnung zu erreichen.
Der Sicherheitsgedanke der Regelung sei zwar richtig, aber überzogen, findet Richter. Gefährdeter seien aus seiner Sicht vor allem ältere Menschen mit Rollatoren, die sich während der Fahrt auf ihre Gehhilfen setzen. Für sie existiert, genau wie für Kinderwagen, keine Verordnung. „Aus Sicht der Rollstuhlfahrer eine eindeutige Diskriminierung“, sagt Stephan Richter. Seine Kollegin Silke Dammann ist selbst Rollstuhlfahrerin. Die Sozialpädagogin führt Trainings in öffentlichen Verkehrsmitteln durch. Seit vier Jahren hilft sie körperbehinderten Menschen, darunter vielen Rollstuhlfahrern, sich in Bussen sowie U- und S-Bahnen zurechtzufinden.
Durch die neue Dienstanweisung von VHH und PVG wird ihre Arbeit deutlich erschwert. Ihre Trainingseinheiten hat sie zum Großteil auf die Bahn verlegt. Das sei allerdings auf Dauer keine Alternative. Aus Sorge, zu zweit nicht mitgenommen zu werden, verzichtet sie trotzdem zur Zeit auf das Bus-Training: „Ich möchte den Teilnehmern die Erfahrung dieser Ablehnung nicht zumuten.“ BENJAMIN GEHRS