Terrorismus im Westen

SOLIDARITÄT Nach den vielen Bekenntnissen, „Charlie Hebdo“ zu sein, werfen Leserinnen und Leser nun weitere Fragen auf: Zu welchen Ereignissen wird geschwiegen? Hat die westliche Welt zu einer Radikalisierung beigetragen? Muss Provokation sein?

■ betr.: „Tout le monde“, taz vom 12. 1. 15

Was Assad mit freiheitsliebenden Menschen seit 2011 in Syrien macht, ja, was sein Vater seit 1966 an Gräueltaten in Syrien und im Libanon verübt hat, bleibt von der Öffentlichkeit so gut wie unbemerkt. Bilder von Kinder- und Babyleichen verfolgen mich seit Beginn des syrischen Aufstands. Eigentlich hätte man überall ebenfalls „Je suis un enfant syrien“ (Ich bin ein syrisches Kind) in den Profilbildern lesen müssen. Aber das Morden geht unbemerkt weiter. Zumal ein syrisches Kind nun nicht nur Assad, sondern nun auch den IS fürchten muss.

Auf der anderen Seite wurde am Freitagmorgen ein saudischer Blogger, Raif Badaoui, vor eine Moschee in Dschidda geschleppt und vor Schaulustigen mit 50 Peitschenhieben gepeinigt. Er hatte eine Website gegründet, auf der er religiöse Radikale im Land kritisiert. Neben 1.000 Peitschenhieben muss er für 10 Jahre ins Gefängnis. Die Peitschenhiebe bekommt er auf Raten: 50 je Woche. „Je suis Badaoui?“ Viele Europäer haben nichts von diesem armen Menschen gehört. Was hat beides mit Europa zu tun? Eine ganze Menge. Beide Beispiele sind exemplarisch. Dafür, dass Fanatiker nicht vom Himmel fallen. Auf der einen Seite erfahren manche, dass ihr Leid niemanden interessiert. Weltweit gepredigte Werte wie Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie haben sich als Seifenblasen entpuppt. Etwa in Syrien.

Auf der anderen Seite toleriert und unterstützt man ein Regime, das an Rückständigkeit kaum zu überbieten ist. Beispielsweise in Saudi-Arabien. Ursachen statt Symptome bekämpfen? Fehlanzeige. Das Leben bloß nicht kompliziert machen.

Je suis un enfant syrien. Je suis Badaoui. SAAD FIDAOUI, Buchholz

■ betr.: Titelseite „Charlie Hebdo“, taz vom 14. 1. 15

Es ist toll, dass ihr die Titelseite von Charlie Hebdo nachgedruckt habt. Ein Zeichen von Solidarität und Menschlichkeit, auch den Opfern gegenüber. ZARADASHT RASHID, Nürnberg

■ betr.: „Kein Bad in der Menge“, taz vom 14. 1. 15

Sehr geehrte Frau Pohl,

mit Ihrem Kommentar geben Sie den Pegida-Anhängern Wasser auf ihre Mühlen. Welche Menschen (ich verzichte bewusst auf ein Adjektiv) sollen denn davon ausgegangen sein, dass Präsidenten, Kanzler, Minister ohne Personenschutz auf die Straße gehen? Als deutscher Normalbürger konnte man doch nur gespannt abwarten, wie die Franzosen diesen Trauermarsch organisieren. Nach dem, was ich bisher hören, sehen und lesen konnte, bezeichne ich den Trauermarsch als gelungen, auch wenn das Wort etwas despektierlich ist. Keineswegs würde ich hier das Wort Lügenpresse in Verbindung bringen.

Wenn Ihr Bestreben ist, Beweise für die Lügenpresse zu finden, denn in Ihrem Kommentar schreiben Sie von einem massivem Glaubwürdigkeitsproblem der Presse, dann gibt es genügend lohnende Beispiele für oberflächliche und lancierte Artikel. GUDRUN PHILIPP, Pretschen

■ betr.: Titelseite „Charlie Hebdo“, taz vom 14. 1. 15

Merci pour votre solidarité!

Danke und nochmals danke, dass ihr den Mut hattet, das Titelblatt von Charlie Hebdo zu veröffentlichen! Vor 30 Jahren, als ich noch in Deutschland lebte, gehörte ich zu euren Leserinnen. Es ist tröstlich zu sehen, dass die guten Leute die guten Leute geblieben sind, und ich bin stolz darauf, meinen französischen Kindern und MitbürgerInnen eure Ausgabe zeigen zu können. Wenigstens ihr habt verstanden, dass manchmal ein Risiko eingegangen werden muss, um Schlimmeres zu verhindern. Liberté. Egalité. Fraternité, mehr denn je. On ne vivra pas à genoux! GERLIND GILBERT, Lyon

■ betr.: „Je suis Charlie“,taz vom 8. 1. 15

Satire und Spott sind fester Bestandteil unserer abendländischen Kultur, so wie sie sich in den 200 Jahren seit der Französischen Revolution entwickelt hat. In anderen Kulturen, wie der islamischen, wird das anders empfunden. Charlie Hebdo hat fröhlich mit dem Holzhammer auf die Gefühle der Muslime eingedroschen, um ihnen unsere Werte einzubläuen. Wenn Zeitungen jetzt im großen Stil Mohammed-Karikaturen drucken würden, um ihre Freiheit zu verteidigen und sich dabei als Helden zu fühlen, würde das nur zeigen, dass sie in ihrer Selbstgerechtigkeit wenig begriffen haben. Es gibt möglicherweise ein Recht, aber sicher keine Pflicht, Menschen aus anderen Kulturen zu provozieren und zu beleidigen.

Radikalisierung hat viele Ursachen. Eine der wichtigsten ist ökonomische, soziale und politische Marginalisierung. Das betrifft den islamistischen Mob genauso wie den Pegida-Mob. Extremisten wollen Krieg, weil sie im Frieden keine Perspektive für sich sehen. Dieses Muster gilt für alle Krisenherde der Welt. Die Lösung kann nur sein, so vielen Menschen wie möglich eine Perspektive auf ein bürgerliches Leben in Würde, Wohlstand und Partizipation zu eröffnen. Das ist nicht so einfach. Sehr viel einfacher ist es, Provokation mit Provokation, Hass mit Hass, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Aber das bringt nichts, außer dass wir immer weiter in den Teufelskreis geraten. JOACHIM MÄDLOW, Berlin

■ betr.: „Jetzt nicht den Kopf verlieren“, taz vom 9. 1. 15

Sie ist ja keine absolute Größe, die Pressefreiheit. Das zeigen die Vorgänge um Snowden und Assange, um NSA und NSU. Das zeigen Vorgänge, bei denen die Verbreitung von Informationen unterdrückt oder manipuliert wird. Und „klammheimliche Selbstzensur“ ist vielleicht weiter verbreitet, als mancher Journalist zugibt. Aber bei den Karikaturisten wird gerufen: „Pressefreiheit, Pressefreiheit“.

Globalisierung, Arbeitsmigration, Flüchtlingsbewegungen stellen uns vor gewaltige Integrationsprobleme. Ressentiments, die ohnehin bestehen, sind manchen Medien willkommen und werden dort eher geschürt, als dass Aufklärung stattfindet, die eigentlich Auftrag der Medien ist. Wenn auch Satire durchaus zur Aufklärung geeignet sein kann, so tragen die Satirezeitschriften in diesem Zusammenhang offenbar nicht zur Verständigung der Menschen bei. Das Gebot der Aufklärung wird auch hier vernachlässigt.

Stattdessen begegnet uns die Respektlosigkeit westlicher Weltsicht, die einhergeht mit der Rücksichtslosigkeit westlicher Politik im Nahen und Mittleren Osten. Man kann den Anschlag von 9/11 in New York nicht sehen ohne diese langjährigen Provokationen. Die Provokationen in Verbindung mit dem Anschlag von 1/7 in Paris sind offensichtlich.

Diese unnötigen Provokationen, die bei ein wenig Zurückhaltung (wer mag, nennt es Selbstzensur) ausbleiben würden, haben jetzt ein paar Idioten Vorwände geliefert, zuzuschlagen, was wiederum ein paar andere Idioten veranlasst, nach der Guillotine zu rufen. Was ist bitteschön gewonnen? Stéphane Carbonnier und seine Kollegen sind tot, die Hassschraube ist ein paar Touren angezogen, klammheimliche Freude bei so manch einem – und Betroffenheit, Trauer und Ratlosigkeit bei allen Menschen guten Willens.ULRICH VARWIG, Duisburg