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Archiv-Artikel

Ein Siegel für Masse oder Klasse?

Kleine Kaffeeröster klagen, Transfair treibe mit einem neuen Kontrollsystem die Preise nach oben. Hintergrund der Auseinandersetzung ist eine Grundsatzfrage: Soll sich fairer Handel auf kleine Anbieter oder große Ketten konzentrieren?

FAIR, ABER HART

Zehn Jahre lang hat die internationale Dachorganisation für Fair-Trade-Label (FLO) die Einkaufspreise für Kaffee nicht erhöht. Als die FLO im Januar ihr Versprechen brach, endlich über eine Preiserhöhung zu reden, protestierte die Organisation lateinamerikanischer und karibischer Kleinbauern „Clac“: Der Sozialaufschlag wurde auf 10 Dollarcent verdoppelt. Auch für Biokaffee gibt es seither 5 Dollarcent mehr. Nun steht bei FLO auch eine Erhöhung des Grundpreises auf der Tagesordnung. Traditionelle faire Kaffeeimporteure wie die Mitka zahlen ihren Lieferanten schon länger höhere Preise. Außerdem tragen sie die Kosten für die Überprüfung vor Ort. Die FLO verlangt dagegen seit 2004 von jeder Kaffeegenossenschaft für die Erstinspektion einige tausend Dollar und jährliche Gebühren. „Die Kooperativen klagen, weil das den Vorteil vom fairen Handel stark verringert. Aber viele Kunden wollen das Siegel haben, und deshalb trauen sich die Kooperativen nicht, auf die teure Überprüfung zu verzichten“, so Mitka-Geschäftsführerin Anne Löwisch. AJE

VON ANNETTE JENSEN

Viele kleine Kaffeeröster sind sauer auf die Siegelorganisation Transfair. Zum Beispiel Frödo in Stuttgart: Weil Transfair sein Kontrollsystem umgestellt hat, sollte der Kleinbetrieb statt bisher 50 Euro im Jahr 600 Euro bezahlen. Das hätte den Verkaufspreis pro Paket massiv erhöht, da Frödo nur wenige hundert Kilo fairer Bohnen verarbeitet. „Wenn das Geld den Bauern zugutekommen würde, könnte ich das meinen Kunden ja noch erklären“, sagt Meike Fröhlich. Doch für mehr Bürokratie wäre wohl niemand bereit zusätzlich Geld auf den Tisch zu legen. Nun röstet Frödo erst einmal keinen fairen Kaffee mehr.

Claudia Brück von Transfair rechtfertigt die Entscheidung. „Das alte System war nicht ganz fehlerfrei.“ Früher habe ein Steuerberater bestätigt, dass die Einkaufs-, Lager- und Verkaufszahlen korrekt seien, jetzt schickt Transfair eigene Leute in die Firmen. „Die schauen nach, wie der Kaffee gelagert ist und ob für jeden Mitarbeiter im Betrieb erkennbar ist, welches die fair gehandelte Ware gehandelte ist.“ Schließlich muss der gesamte Weg vom Produzenten bis zum Verpacker lückenlos nachvollziehbar sein. 11 Cent kassiert Transfair pro Pfund Kaffee für jedes aufgedruckte Siegel; neben dem Kontrollsystem werden davon auch Lobbyarbeit und Marketing finanziert.

Der Konflikt zwischen Transfair und Frödo ist typisch für die Konflikte und unterschiedlichen Einschätzungen in der Szene. Zentraler Streitpunkt ist die Frage: Masse oder Klasse? Die einen argumentieren, dass möglichst viele Bauen vom Fairen Handel profitieren sollen, die anderen fürchten, die treusten und informiertesten Kunden werden verprellt. Der Konflikt kristallisiert sich zurzeit vor allem an der Entscheidung von Transfair im vergangenen Jahr, mit dem wegen seiner miserablen Arbeitsbedingungen in Deutschland in Verruf geratenen Discounter Lidl die Marke „Fairglobe“ zu entwickeln. „Die Ideale, die die Organisation vor 15 Jahren vertreten hat, wurden damit über Bord geworfen“, meint Klaus Langen, der einen Familienbetrieb im sauerländischen Medebach leitet und knapp 40 Prozent seines Kaffees von einer mexikanischen Bauernkooperative bezieht. Aus christlicher Überzeugung habe er für die Kolping-Gemeinschaft die Zusammenarbeit mit der Genossenschaft aufgebaut; aus dem direkten Kontakt sei Vertrauen und Freundschaft erwachsen. Bei Lidl dagegen herrschen wieder die anonymen Marktgesetze, kritisiert Langen, der zwischenzeitlich überlegt hat, den Lizenzvertrag mit Transfair zu kündigen.

Allerdings muss auch Klaus Langen einräumen, dass die kleinen, feinen Röster nur wenigen Kaffeebauern eine Perspektive durch den fairen Handel eröffnen können. Selbst von den 270.000 katholischen Kolping-Mitgliedern in Deutschland trinkt nur ein Bruchteil seinen fairen Kaffee. Und die evangelische Kirche versucht gerade, 1.000 Kirchen dafür zu gewinnen, künftig faire Bohnen einzukaufen. Bisher wird in 90 Prozent der evangelischen Gemeinden konventioneller Kaffee ausgeschenkt.

„Von Lidl haben wir die Zusage, dass sie zwei bis drei Jahre lang den fairen Anteil ausbauen wollen. Solche Zusagen gibt es von anderen Handelsunternehmen nicht“, berichtet Claudia Brück. Von den 18.000 Tonnen Ware, die in Deutschland im vergangenen Jahr das Transfair-Siegel trugen, wurden 3.000 Tonnen bei Lidl abgesetzt. Den Löwenanteil dabei machen allerdings die relativ preiswerten Bananen aus. Welchen Anteil Lidl am deutschen Jahresumsatz von 110 Millionen Euro „transfair“ gesiegelter Produkte hat, wollte Brück nicht rausrücken. „Es ist aber nur ein ganz geringer Teil,“ behauptet sie. Auch die Lidl-Pressesprecherin schweigt.

Tatsächlich sind die „Fairglobe“-Produkte bei Lidl gar nicht so einfach zu finden. In der Filiale in der Berliner Quitzow-Straße liegen sie mit Ausnahme der Bananen im unzugänglichsten Winkel. Die Verkäuferin nennt es die „Bioecke“; vom „Fairen Handel“ hat sie noch nie etwas gehört. 4,49 Euro kostet das Pfund Fairglobe-Kaffee; wo es hergestellt wurde, lässt sich der Verpackung nicht entnehmen.

In der traditionellen Fairhandelsszene wächst unterdessen nicht nur die Befürchtung, dass Lidl und andere Große den Fairen Handel in Verruf bringen könnten. Auch eine Verwässerung der Kriterien wird befürchtet, wenn rein gewinnorientierte Großabnehmer eine immer größere Rolle spielen. Sie könnten ihre Verhandlungsmacht dazu nutzen, dass auch Plantagen als Lieferanten akzeptiert werden, die ihren Arbeitern einen Mindestlohn zahlen. Doch den eingesessenen fairen Händlern geht es um weit mehr als um einen existenzsichernden Preis für Kleinbauern. Sie wollen auch demokratische und transparente Strukturen in den Kooperativen fördern und auf Augenhöhe mit ihnen verhandeln. Der Kaffeeröster Hans-Peter Hagen aus Heilbronn hat deshalb die „Deutsche Röstergilde“ gegründet, die nun ein eigenes Siegel mit strengen Kriterien plant.