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Archiv-Artikel

Dauerkarte für eine Urne

Am Tag des Friedhofs stellte der HSV seine Pläne für die 91. Minute vor – einen Friedhof nur für Fans des Fußballclubs. Er soll aussehen wie ein kleines Stadion. Manchen Fans genügt das noch nicht

VON RALF LORENZEN

„Ich habe zu Lebzeiten ein tiefe Verbindung zum Stadion, dann kann ich mich doch auch hier beerdigen lassen. Dann ist die Verbundenheit über den Tod hinaus.“ Nicht nur für HSV-Fans wie Carsten Kache, genannt Raver112, der die Raute auf den Oberarm tätowiert und die Radkappen damit lackiert hat, ist dies ein guter Tag. HSV-Vorstandsmitglied Christian Reichert sticht gemeinsam mit einem Friedhofsgärtner den Spaten das erste Mal in den neuen HSV-Friedhof. Direkt an der Südwest-Ecke des Stadions sind nun 2.500 Quadratmeter des Hauptfriedhofs Altona für HSV-Anhänger reserviert.

„Die Idee ist uralt“, sagt Christian Reichert. „Es gab immer wieder Anfragen von Fans, ob sie ihre Asche auf dem Rasen verstreuen oder die Urne darunter vergraben können.“ Aber das sei nach der Grabstättenverordnung nicht möglich. Dann wurde ein großes Grundstück auf dem Friedhof frei und der Plan für eine HSV-Gemeinschaftsgrabstätte entwickelt.

Die 500 Grabplätze sollen in einem stadionähnlichen Halbrund auf zunächst drei Rängen mit einem Höhenunterschied von jeweils einem halben Meter entstehen. „In den Niederlanden gibt es eine Urnenwiese aus dem alten Rasen des Ajax-Amsterdam-Stadions“, sagt der Hamburger Publizist Peter Cardorff, der das Buch „Der letzte Pass“ über die Trauerkultur in der Fußballszene geschrieben hat. „Und die Boca Juniors haben in der Nähe von Buenos Aires vor kurzem einen eigenen Fanfriedhof eröffnet.“ In Deutschland ist dies das erste Projekt dieser Art.

Zwar wurde dem großen Fußballer Adolf Jäger bereits vor mehr als 60 Jahren auf dem Altonaer Friedhof ein Denkmal gesetzt. Auf dem Grabstein des 1945 verstorbenen Nationalspielers ist noch heute das Vereinsemblem des FC Altona 93 zu sehen. Eine Grabstätte in Stadionnähe garantiert aber noch keine Fan-würdige Bestattung.

Deshalb schließt der HSV Lizenzverträge mit Bestattungsunternehmen und Steinmetzen ab, die den Interessierten entsprechende Angebote unterbreiten. Der HSV wolle daran nicht verdienen, beteuert Christian Reichert, sondern stecke die Lizenzgebühren in die Pflege des Areals. „Wir wollen eine niveauvolle und pietätvolle Anlage.“

Das Unternehmen GBI hat bereits eine HSV-Bestattung ins Programm aufgenommen, von der Carsten Kache angetan ist: „Der Sarg sieht genial aus. Royalblau mit der Raute drauf. Den könnte man fast als Kommode für Fan-Artikel mit nach Hause nehmen.“ Während er für die Fotografen vor dem Mustergrab mit blau-weißen Blumenrabatten posiert, verrät er auch seine Pläne für die Trauer-Zeremonie: „Links vom Sarg drei Leute im weißen Heimtrikot, und rechts im blauen Auswärtstrikot. Und der Pastor im schwarzen HSV-Trikot. Dazu ‚HSV forever‘ und ‚Hamburg meine Perle‘.“

Dass sich nicht nur hart gesottene Kutten-Fans für diese Form der Bestattung interessieren, zeigen zwei andere Anhänger. „Ich gehe seit 57 Jahren zum HSV und finde die Idee ausgezeichnet“, sagt Ernst Schmidt. „Ich habe meine Frau hier vor vier Jahren beerdigt, und wie es für eine Ehepaar üblich ist, haben wir ein Doppelgrab. Jetzt will ich versuchen, ob ich das auflösen kann und später hierher komme. Vielleicht kriege ich dann ja noch was vom Jubel im Stadion mit.“

Ingo Thiel, Geschäftsführer einer Marketingfirma, würde seine Urne am liebsten wie beim FC Everton direkt am Spielfeld begraben lassen. Da das nicht geht, hat er eine Alternativlösung parat. „Ich werde für meine Urne, bis sie bestattet werden muss, eine Dauerkarte kaufen. Und für den, der sie zu jedem Heimspiel ins Stadion bringt, gleich eine mit.“

Steinmetz Bert Ulrich Beppler, der die Idee dieses Friedhofs mit aus der Taufe gehoben und den ersten Muster-Stein gestaltet hat, nutzte die Grundsteinlegung am Tag des Friedhofs für eine grundsätzliche Botschaft: „So können wir der Öffentlichkeit endlich mal wieder klarmachen, dass ein Friedhof nichts mit langweiliger Pietät zu tun hat, sondern ein kulturelles Event ist, das massiver Teil der Trauerbewältigung ist. Wenn das untergeht, verliert die Gesellschaft den Bezug zu ihrer Vergangenheit.“