: Romantische Vorstellungen von der Platte
Heute beginnt die Musikmesse Popkomm. Fans interessieren sich vor allem für das Konzertprogramm. Unterdessen diskutieren Experten, Manager und Musiker über die Wandlungen der Branche vor allem durch das Internet. Viele kleine Berliner Labels haben sich darauf bereits eingestellt
Die Popkomm startet heute mit fast 900 Ausstellern aus 57 Ländern. „Wir haben mehr Aussteller und sind noch internationaler geworden“, sagte Popkomm-Geschäftsführer Ralf Kleinhenz am Dienstag. Als Herausforderung für die Branche gilt nach seinen Worten immer noch das Internet. „Der Tonträgermarkt stagniert – bestenfalls“, sagte Kleinhenz. Im Mittelpunkt der Popkomm, die als einer der wichtigsten Branchentreffs weltweit gilt, steht diesmal Musik aus Deutschland, das „Partnerland“ ist.
Begleitend zur Messe stehen ein Musikfestival mit 450 Bands, Sängern und DJs aus 35 Ländern sowie eine Konferenz auf dem Programm. Zu den Stars gehören Paul Weller, Billy Bragg, Benjamin Biolay, Nena, Smudo, Samy Deluxe und DJ Paul van Dyk. Auch Klassik ist bei der Popkomm ein Thema.
Offiziell eröffnet wird die Messe heute von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Rund 15.000 Fachbesucher werden erwartet. Die Bandbreite der Aussteller reicht vom Konzertveranstalter bis zum Software-Anbieter, auch große Namen wie Warner Music, Sony BMG und Universal Music sind dabei. DPA
„Wir sind romantisch veranlagt und wollen deshalb auch in Zukunft CDs und Vinyl veröffentlichen.“ So klingt das heutzutage, fragt man bei Plattenfirmen nach ihrer Veröffentlichungspolitik. Dabei stammt der Satz von Fred Fröse, einem der beiden Betreiber des kleinen Labels Haute Areal mit Sitz in Neukölln. Haute Areal bringt schrammeligen Indiepop heraus von charmant bis hochwertig, unter anderem die deutsche Band Mit und die in Berlin ansässigen The Aim of Design. Einen Reibach macht man mit diesem Programm natürlich nicht, besonders nicht heutzutage. Aber in kleinem Rahmen lässt sich arbeiten. Das Prinzip heißt Praktikanten- und Selbstausbeutung. Für Romantik, Idealismus und kleines Geld.
Mittlerweile ächzt und stöhnt es überall in der Branche. Zur diesjährigen Popkomm, die heute beginnt, sind die sorgenvollen Töne allerdings leiser geworden. Gesucht wird nach neuen Auswegen, die nicht mehr Diskriminierung und Abmahnung heißen sollen – mit diesen Mitteln hat die Industrie lange versucht, gegen Raubkopierer und illegale Downloads vorzugehen, weitestgehend vergeblich. Stattdessen wird verkleinert, rationalisiert, auf Synergieeffekte gesetzt.
Als Beispiel seien die Label Cooperative Music und City Slang genannt: Beide haben sich lange ein Büro in Charlottenburg geteilt. City Slang ist ein größeres, international operierendes Label, das sich als solches auch einer größeren Unabhängigkeit erfreuen kann. Cooperative Music ist ein in Deutschland arbeitendes Tochterunternehmen der ehemals unabhängigen Firma V2 Records. Im Zuge der Rationalisierungsmaßnahmen zog die Bürogemeinschaft City Slang und Cooperative zur Mutterfirma V2 nach Kreuzberg. V2 jedoch ist kürzlich vom Major Universal Music aufgekauft worden. Marktkonzentration nennt man das. Künstler wie Maximilian Hecker oder die Fehlfarben erscheinen so künftig unter der Obhut der großen Industrie.
Neben diesen Übernahmebewegungen – die es immer schon gegeben hat – und den vielerorts gestrichenen Stellen in Promotion, A & R und anderen Positionen, sind weitere Tendenzen erkennbar. Die Abnahme der Verkäufe von so genannten physischen Tonträgern führt eben nicht nur zu einer Verdichtung der Lizenz- und Vertriebsstrukturen. Sondern auch dazu, dass verstärkt auf das Vertreiben digitaler Töne gesetzt wird. Das hat den Vorteil, dass vom lokalen Ort aus grenzübergreifend, sprich global gewirtschaftet werden kann. Ohne die digitale Verwertung wird es nicht mehr gehen, ob über Finetunes, I-Tunes, Musicload oder eigene Portale.
Einige kleine Labels wie das am Fuße des Prenzlauer Bergs ansässige Label Kitty-Yo sind inzwischen dazu übergegangen, gänzlich aufs physische Produkt zu verzichten und nur noch auf die digitale Verbreitung zu setzen. Hier macht sich eine große Nische auf, die von findigen Neugründungen besetzt wird, den Netlabels. Sie widmen sich von vornherein der rein digitalen Verbreitung und bieten in den allermeisten Fällen kostenlose Musikdateien an.
Diese Labels verstehen sich als reine Verstärkerportale, als Vermittlungsagenten zwischen neuen Künstlern und der zu gewinnenden Hörerschaft. Beispiele aus Berlin wären die eher elektronisch orientierten Netlabels Pulsar Records oder Pentagonik. Sicherlich werden noch sehr viele folgen, in allen musikalischen Bereichen.
Dem prognostizierten Labelsterben, das tatsächlich langsam einsetzt, steht also eine neue, unüberschaubare Masse an labelähnlichen Aktivitäten im Netz entgegen. Musikportale, Myspace, Blogs und Netlabel – die Strukturen verändern sich. Die Musikindustrie rückt an den Konsumenten heran. So nah, dass von den alten Strukturen fast nichts mehr bleibt. Die Teilung zwischen wenigen Majors (die sich die besten Indies einverleibt haben werden) und einer verwirrenden Zahl Mikrounternehmen wird vorerst bestehen bleiben. In der Masse werden die Mikrounternehmen zunehmen. Und somit mächtiger werden.
Man sollte annehmen, dass die Leidtragenden der Entwicklung die Künstler sind. Dem ist im Zuge des eingesetzten Live-Booms (siehe taz vom 18. 9.) aber nicht unbedingt so. Allerdings sieht es so aus, als ob aus Musikern wieder fahrendes Volk zu werden droht. Wer nämlich von der Musik gut leben will, muss viele Konzerte spielen. Von denen werden heute und in den nächsten Tagen viele gute zu erleben sein. RENÉ HAMANN