: Alles über Esther
Schwärmen für Schauspielerinnen (1): Ein Treffen mit Esther Zimmering, die in Charlottenburg lebt und öfter mal im Fernsehen zu sehen ist. Ein Gespräch über ihre Arbeit und die Schnittstellen zwischen Kunst und Leben
VON RENÉ HAMANN
Da kommt sie die Grolmanstraße heruntergelaufen, sie hat einen schönen Gang, leicht und federnd, und sie lächelt aus zwanzig Meter Entfernung. Esther Zimmering ist noch nicht lange dreißig, aber sie ist schon einige Zeit im Geschäft. Ihr Name ist den meisten noch nicht so bekannt, dabei hat sie sich schon durch diverse Fernsehformate gespielt, zuletzt war sie im Tatort „Scheherazade“ zu sehen. Bekannt wurde sie durch das von Detlev Buck gedrehte Musikvideo „Kein Zurück“ von der Band Wolfsheim, in dem sie eine entschlossen wütende Frau spielt, die aus einem Spital zu flüchten versucht.
„Es waren die Gummistiefel“, schildert sie, die wichtig waren. „Für den tollen Gang, der so daherdampft. Und auch die Musik natürlich.“ Einerseits war das Wolfsheim-Video nur ein Drehtag im Leben einer Schauspielerin, andererseits zu vielem – Besetzungen, Wahrnehmungen – der Anstoß. Letztlich auch zu Interviews wie diesem. Von Wolfsheim selbst kann man halten, was man will, das Stück „Kein Zurück“ berührte damals einen empfindlichen Punkt. Den zwischen Wut und Wehmut. Und Esther Zimmering lieferte, wurde das Bild dazu. Es war dann schon komisch, diesem Bild eines sonnigen Tages vor einem Café gegenüberzusitzen und zu merken, dass es anders aussieht. Und dass es sprechen kann. Projektion an, Projektion aus.
Im Gespräch lacht sie oft, lässt sich Zeit, prüft die Fragen. Sie ist zwischen zwei Drehzeiten in Berlin, bald ist sie wieder beim Dreh in Osnabrück, wo sie die Frau Erich Maria Remarques spielen wird. Überhaupt redet sie viel von ihren Filmen, Filme, die man gesehen hat, wenn man sie und ihre Karriere oder den neuen deutschen Film genau verfolgt. Daneben spielte sie Theater, mal am Boulevardtheater mit Geschmack („8 Frauen“ am Renaissance-Theater Berlin), mal an den Hamburger Kammerspiele. Vor Film und Theater gab es die Ernst-Busch-Schauspielschule, wo sie sich, wie sie meint, aus dem Bauch heraus beworben hat und prompt genommen wurde. Mittlerweile, nach acht Jahren Berufsleben, spielt sie sehr viel, über Mangel an Angeboten kann sie sich jedenfalls nicht beklagen. Sie ist fleißig. Und der Film „Der Fußfesselmörder“ ist der einzige ihrer Karriere, der ihr richtig peinlich ist.
Was sind die Schnittstellen zwischen Leben und Kunst?, frage ich. Klassisch heißt es: aus dem Leben für die Kunst. Das Method-Acting, das bedeutet, dass man in den zu spielenden Figuren eine Seite des eigenen Selbst erkennen und widerspiegeln sollte. Aber funktioniert das auch umgekehrt? Kann man aus dem Film fürs Leben lernen? Kann man, macht man schon als regelmäßiger Filmgucker, oft mit fatalen Folgen. Aber als Schauspielerin? „Im Leben ist es so, egal ob Schauspieler oder nicht: Alle spielen. Ein Verkäufer zum Beispiel ist in dem Moment Verkäufer und nicht Privatmensch“, sagt sie. Der Verkäufer spielt also. Die Funktion, die er hat, ist die Rolle, die er spielt.
Sie macht zwischen Privatleben und Arbeit eher eine scharfe Trennung. Was schade ist, aber verständlich. Dahinter stecken vermutlich Selbstschutz und der unbedingte Wunsch, die Kontrolle zu behalten, und vielleicht ist das im Filmgeschäft wichtig. Ein bisschen merkwürdig bleibt es trotzdem. Läuft man als Verkäufer nicht ständig mit seiner Identität herum und füllt sie aus? Und hätte der Beruf des Schauspielers nicht eben auch den Reiz, das Spiel mit Identitäten auf die Spitze zu treiben? Ist Esther Zimmering privat nie das wütende Mädchen mit dem Wunsch, die Uhren zurückzudrehen? Vielleicht schon. Diese Fragen habe ich zu stellen vergessen. Sie fielen mir zu spät ein.
Aber es gibt ja auch mehr und anderes als „Kein Zurück“. Andere Filme und andere Musik. Jazz zum Beispiel. Den gibt es im Laden um die Ecke, dem „A-Trane“, da taucht sie gern mal auf. Auch die Beatles mag sie, gerade bereitet sie einen John-Lennon-Abend vor. Eine eigene Band hat sie auch. Oder hatte. Die Flugbegleiter. Da singt Esther selbstverfasste deutsche Texte über soliden Indierock.
Auf die Frage nach dem Sozialleben gibt sie die branchenübliche Antwort: Eine Kontinuität ist schwierig. „Wenn ich von der Arbeit komme, muss ich mich um meine Freunde kümmern, weil die gar nicht wissen, dass ich weg bin oder wieder da. Ich habe meine Rolle gespielt und bin, im Gegensatz zu diesem Weit-weg-von-sich-Sein, dann schnell wieder bei mir.“ Seitdem sie sich für Berlin als Basis entschieden hat, ist es einfacher. „Ich könnte aber auch tage- und nächtelang durchdrehen, wenn die Arbeit Spaß macht“, sagt sie. „Am schönsten ist es, reale Situationen einzubauen, ohne sensationsgeil zu sein. Für ‚Scheherazade‘ bin ich in ein Gefängnis gegangen und habe mit Insassen gesprochen. Das macht den Beruf erst echt.“ Dann erzählt sie von den Drehzeiten, in denen sie ein bisschen leidet, vor allem nach Feierabend, da zieht sie sich zurück mit Buch oder Musik. „Das ist manchmal sehr traurig. Aber es ist beruhigend, zu wissen, dass es anderen auch so geht. Jetzt hat sich der BFFS gegründet, der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler, es ist gut, dass es da mal die Möglichkeit zum Austausch gibt.“ Demnächst wird sie im Kinofilm „Vivere“ von Angelina Maccarone zu sehen sein. Ein für sie sehr wichtiger Film. Andererseits einfach der nächste Schritt.
Esther Zimmering hat eine weiche, schöne Stimme. Sie hat Präsenz mit nur einem Hauch von Arroganz und noch weniger Extravaganz. Sie wirkt braver, netter, unbefangener, vielleicht eine Spur naiver, als man meinen könnte, als meine Projektion gedacht hat. Sie sieht heute auch ein wenig brav aus, was sie freimütig zugibt, die braunen Haare fallen in einer unauffälligen Frisur bis zur Schulter, sie trägt irgendein Oberteil, das zu einer schicken Stoffhose passt, geschminkt ist sie nicht. Irgendwie passt sie in dieses Umfeld, in dem sie hier sitzt, in das aufgeräumte, etwas stille Charlottenburg am Savignyplatz. Gediegen, bürgerlich, mondän.
Nur dass sie eine frische, freche Note hat und in Situationen, in die man sie wirklich nicht bringen will, so gucken kann wie in dem Video von Wolfsheim. Angegriffen, fordernd.