: Hardrock und Zugverkehr
Wie die Zeiten sich doch ändern … Hätten vor 20 Jahren nicht wenige Menschen bei Mr. Big vor allem an die amerikanische Bluesrock-Gruppe dieses Namens gedacht, ist die erste zu erwartende Assoziation heutzutage wohl eher die zu Sarah Jessica Parkers namenlosem Traummann in „Sex and the City“. Aber irgendwie passt das ja auch, stellen beide Bigs doch eine Art Kleinmädchentraum dar, quasi unerreichbar, mehr Idee als Realität: alles Produkte der rollenstereotypen Kulturindustrie.
Die tatsächlich existierende Band hat ihren Namen in dem eigenartigen Fach des soften Hardrocks gemacht. Ordentlich Schrammelgitarren, dabei aber sanft und verliebt. Sänger Eric Martin hatte in seinen besten Tagen, die bedauerlicherweise mit den belanglosesten des Hardrocks zusammenfielen, den Charme eines langhaarigen, schüchternen, fast schon androgynen Mädchenschwarms. Die zwar aufgeraute, dabei aber merklich an schmachtend souligen Gesangsfiguren geschulte Stimme komplettierte dieses Bild. Nach einer bemerkenswerten Karriere in der zweiten Reihe des Genres holte ihn Billy Sheehan als Sänger in seine Neugründung: Mr. Big. Sheehans jahrelange Arbeit mit David Lee Roth ist hörbar der wichtigste Einfluss auf die Band und vielleicht auch ihr größtes Kreuz. Musikhistorisch gesprochen ist ein Roth wirklich genug und es überrascht nicht, dass der größte Hit von Mr. Big keine Bombastballade mit Bluesanklängen war, sondern „To Be With You“, ein freundliches Liebeslied, das Eric Martin schon als Teenager geschrieben hatte und das ohne verzerrte Gitarren und großartiges Rumgegniedel produziert wurde. Ein niedlicher Song war geboren, der sich hervorragend dazu eignete, in den Karaokekanon aufgenommen und vom Formatradio bis zum absoluten Überdruss zerspielt zu werden und inzwischen seinen festen Platz in den „besten Hits diverser Jahrzehnte“ gefunden hat. „To Be With You“ ist damit in jeder Beziehung eine Ausnahme auf dem Album „Lean Into It“, dass sich ansonsten nur durch sein Cover auszeichnet, das den schweren Unfall im Pariser Gare Montparnasse vom 22. Oktober 1895 abbildet und zum Beispiel den Stuttgarter WutbürgerInnen eine Warnung bezüglich der den Kopfbahnhöfen nunmal inhärenten Gefahren und dementsprechend Sinnbild des visionären Kerns der Konstruktion unterirdischer Durchfahrtsbahnhöfe sein soll. Das wäre, genauer betrachtet, auch die Schlichtungschance des Heiner „Mr. Big“ Geißler gewesen. Aber wahrscheinlich ist der weder für die bemannte Zugfahrt noch für populären Hardrock ein Fachmann. DANIÉL KRETSCHMAR
■ Mr. Big: 10. 10., 20 Uhr, C-Club