Nachträgliche Stimme für die Tiere

Als erstes Bundesland hat Bremen ein Verbandsklagerecht für Tierschützer eingeführt. Die Wissenschaftslobby ist nicht begeistert, die Uni aber übt sich in diplomatischer Zurückhaltung – als Motor der Debatte gilt die dortige Hirnforschung

Besondere Bedeutung kommt Verbandsklagen im Umweltrecht zu. Im Naturschutzrecht etwa ist seit 2002 im Bundesnaturschutzgesetz die Mitwirkung von Vereinen verbindlich geregelt. Die Bundesländer können das Verbandsklagerecht ausdehnen auf Tatbestände, die in ihrer eigenen Verantwortung stehen. Das Naturschutzrecht macht es Verbänden möglich, gegen Entscheidungen von Bundesbehörden Rechtsmittel einzulegen. Für die überwiegende Zahl derartiger Verfahren gilt das jeweilige Landes-Naturschutzgesetz.  taz

VON BENNO SCHIRRMEISTER

In Bremen dürfen anerkannte Tierschutzorganisationen künftig gegen die Genehmigung von Tierversuchen klagen. Ein entsprechendes Gesetz verabschiedete gestern die Bürgerschaft in erster und zweiter Lesung. Gegen die Neuregelung votierten die Abgeordneten von FDP und CDU. Damit ist Bremen das erste Bundesland, das ein solches Verbandsklagerecht einführt.

Allerdings beraten auch im großkoalitionär regierten Schleswig-Holstein seit Anfang des Jahres die Gremien über ein entsprechendes Gesetzesvorhaben. Ein dort vom Agrar-Ausschuss in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten hat Ende Juni die umstrittene Frage bejaht, ob ein Land eine solche Regelung überhaupt erlassen darf. Und „in der Plenardebatte“, so der Kieler Abgeordnete Detlef Matthiessen (Grüne), „hat keiner ausdrücklich dagegen gesprochen“.

Von der Besuchertribüne aus beobachtete der Präsident des deutschen Tierschutzbundes Wolfgang Apel die Aussprache in der Bremischen Bürgerschaft: „Das ist ein ein wichtiges Ziel, das wir damit erreichen“, kommentierte er das Ergebnis. Besorgnis äußerte dagegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): Man halte die im Tierschutzgesetz des Bundes fixierten Regelungen für ausreichend, hieß es aus Bonn. Der Bremer Vorstoß bringe „gravierende Erschwernisse für die tierexperimentelle Forschung mit sich“, so Gerhard Heldmaier. Der Professor für Tierphysiologie ist Vorsitzender der zuständigen DFG-Senatskommission.

Der gestrigen Entscheidung war eine jahrelange, mitunter hitzige Debatte vorausgegangen: Nachdem die große Koalition 2005 einen Vorstoß der Grünen abgelehnt hatte, kam es zu einem Bürgerantrag. Den unterschrieben rund 15.000 BremerInnen: Im März plädierte schließlich Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) dafür, ihn anzunehmen. Die CDU drohte damit, die Koalition dann platzen zu lassen – anderthalb Monate vor der Wahl. An den Positionen hat sich seither nichts geändert – nur an den Mehrheiten.

Entsprechend lau fiel die Debatte aus. Richtig: In Redebeiträgen wurde die „Sternstunde des Parlaments“ beschworen. Und darauf hingewiesen, dass Bremen „bundesweit Pilotfunktion“ übernehme. Aber Begrifflichkeiten wie „Feststellungsklage“ oder die befürchtete „Kollision von bundes- und landesrechtlicher Gesetzgebungskompetenz“ machen jeden Versuch, die Debatte rhetorisch aufzubrezeln, zunichte.

Zu ungewiss für Euphorie ist wohl auch die juristische Lage. So hatte der wissenschaftliche Dienst der Bürgerschaft – im Gegensatz zum Justizressort – die Befürchtung geäußert, das neue Gesetz verstoße „möglicherweise“ gegen Bestimmungen des Grundgesetzes und werde deshalb in Karlsruhe kassiert. „Wir wissen“, sagte Wolfgang Grotheer von der SPD, dass das „verfassungsrechtlich nicht unumstritten ist“.

Wegen dieser Bedenken hat man sich in Bremen für ein Verbandsklagerecht light entschieden: Es erlaubt nur, Verwaltungs-Akte nachträglich überprüfen zu lassen – in laufende Verfahren wird nicht eingegriffen.

Apel findet das „natürlich bedauerlich“. Er sehe aber ein, dass man „mehr auf Landesebene nicht erreichen“ könne – weshalb Bremen ja auch, mit gleichem Beschluss, eine einschlägige Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht hat. Aber „endlich“, so Apel, habe „der Tierschutz die Möglichkeit, feststellen zu lassen, dass beispielsweise bestimmte Versuchsgenehmigungen nicht konform mit dem Gesetz zustandegekommen“ seien. Eine solche Klage müsse aber „gut vorbereitet“ sein: „Das muss sitzen“ – sonst verliere man die Glaubwürdigkeit.

In Bremen haben Tierversuche immer wieder zu Kontroversen geführt: Als besonders strittig gelten die Experimente zur UMTS-Strahlung unter dem Dach der privaten Jacobs University. Noch mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen die Primatenversuche, die der Hirnforscher Andreas Kreiter an der Uni Bremen durchführt. In diplomatischer Zurückhaltung übten sich gestern allerdings sowohl Uni-Rektor Wilfried Müller als auch JUB-Präsident Joachim Treusch: Eine Stellungnahme könne es „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht geben“, der Sachverhalt müsse „erst geprüft werden“.

Schneller reagierte hingegen die DFG – die zentrale Wissenschafts-Organisation, von deren Förderentscheidungen ganze Hochschulen abhängen. Er befürchte, so Gerhard Heldmaier, dass ein solches Verbandsklagerecht gezielt genutzt werde, „um Tierversuche in der Grundlagenforschung durch langjährige juristische Auseinandersetzungen zu verschleppen oder ganz zu verhindern“. Angesichts der „international raschen Entwicklung“ der biomedizinischen Forschung sei das „nicht akzeptabel“: Erwartbare Folge sei „die Abwanderung von Spitzenforschung“.