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Archiv-Artikel

Widersprüche aufspüren

DDR Der Defa-Abend im Arsenal zeigt Roland Steiners Dokumentarfilm „Unsere Kinder“ über Subkulturen in der DDR von 1985 bis 1989

Eine Gruppe Grufties hockt bei Kerzenschein auf einem Friedhof

VON CAROLIN WEIDNER

„Dieser Film ist ein Plädoyer für das Zuhören, das Verstehenwollen, das offene Sprechen, bevor es zu spät ist.“ Roland Steiner, Dokumentarfilmer, verlässt seinen Film „Unsere Kinder“ von 1989 mit diesen Worten. Betreten hatte er ihn mit: „Aber es sind Menschen, die ihren Weg suchen.“ Dazwischen ist Steiner unterwegs im Osten der Vorwendezeit, spricht mit Punkern und Grufties, nähert sich über mehrere Bögen (und dann doch ganz direkt) dem Recherchethema des Films: junge Neonazis in der DDR. Offiziell gab es sie nicht. Laut Steiner waren sie aber „sehr sichtbar“. Der einmal im Monat von der Defa-Stiftung im Kino Arsenal ausgerichtete Abend zeigt am 2. Februar Steiners „Unsere Kinder“, ebenso wie dessen „Peter Zadek inszeniert Major Barbara“ (2009), der den Theaterregisseur bei den Proben seiner letzten Inszenierung am Schauspielhaus Zürich begleitet. Mit besonderem Interesse wird fortan jedoch „Unsere Kinder“ bedacht.

Es ist ein eigentümliches Phänomen, dass sich im Laufe der Zeit eine ganze Gruppe von DDR-Jugendlichen im eigenen Kopf zusammenfindet, die man allesamt nur aus (Defa-)Dokumentarfilmen kennt. Sie bleiben dort mit erstaunlicher Hartnäckigkeit. Zum Beispiel Alexander, ein junger Mann, den Kurt Tetzlaff zum Mittelpunkt seiner beiden Filme „Im Durchgang – Protokoll für das Gedächtnis“ und „Im Übergang – Protokoll einer Hoffnung“ gemacht hat. Wollte Tetzlaff diesen Alexander zunächst nur durch sein letztes Jahr als Abiturient an einer Potsdamer Schule begleiten, erfuhr das Filmprojekt kurz nach Anlauf mächtig Aufwind, als sich im Laufe des Jahres 1989 Veränderungen abzeichneten, die weder Tetzlaff noch Alexander kalkulieren konnten. Zynismus gibt es dabei nicht, auch wenn sich im zweiten Teil etwas Bitterkeit schmecken lässt.

Oder Enrico „Rizzo“ Idzikowski, der einem in Helke Misselwitz’ „Sperrmüll“ (1991) begegnet, der in der DDR bleiben möchte, obwohl die Mutter schon im Frühjahr 89 nach Westberlin übergesetzt ist. Und auch nach Mauerfall wenig Aufbruchsdrang westwärts verspürt. Ein Musiker. Wach. Das verbindet Alexander mit Rizzo, diese Wachheit. Sie ist auf viele Defa-Dokumentarfilme gebannt, gerade auf die um die Wendezeit – kurz davor wären jene Filme womöglich gar nicht zu einer unzensierten Veröffentlichung gelangt.

So war es auch bei „Unsere Kinder“. Seit 1985 hat Steiner Material gesammelt, bis 1989 gedreht. Nebenher zum üblichen Tagwerk bei der Defa. Zur Abnahme im Herbst 89 erzählt er diese Geschichte: „Nach vierzig Minuten macht Pehnert (Anmerkung: Horst Pehnert, umgangssprachlich auch „Filmminister“ genannt) das Licht an. Die Vorführung ist unterbrochen. Dann kommt er wieder, sagt, Honecker ist entmachtet, Krenz ist der Neue, jetzt können wir darüber nachdenken, den Film in etwa so rauszubringen.“

Tatsächlich gibt es in „Unsere Kinder“ einiges zu sehen, das nicht unbedingt dem offiziellen DDR-Selbstbild entspricht. Eine Gruppe Grufties hockt bei Kerzenschein auf einem Friedhof, später entsteht ein reges Gespräch untereinander und vor laufender Kamera, wie es denn sein könnte, dass sie von den DDR-Bürgern diskriminiert würden, wo es doch allerorten hieße, man sei gegen Diskriminierung. Was Steiner in „Unsere Kinder“ gut gelingt ist: offene Widersprüche dort aufzuspüren, wo sie sich manifestieren, wo sie artikuliert werden, also in Subkulturen. Steiner stößt auf jene in der Neonazi-Szene, der ein Gros des Films gewidmet ist. Aber er porträtiert genauso Jugendliche, die anderen Strömungen zuzurechnen sind, Punks, Grufties, Antifas. Die berichten einerseits von ihren Problemen mit den Schläger-Nazis, aber auch von Problemen innerhalb des DDR-Systems. Auf Wertungen verzichtet Steiner. Auch auf große Kommentare, die Nachfragen sind gezielt und kurz, dafür sprudeln die Antworten der Jugendlichen nur so, sind emotional, auch mutig, weil riskant. „Unsere Kinder“ ist ein Zuhör- und Nachfrage-Film. Das klingt banal. Aber das ist es nicht.

■ Roland Steiner: Kino Arsenal, 2. 2., 19 Uhr („Unsere Kinder“), 21 Uhr („Peter Zadek inszeniert Major Barbara“), www.arsenal-berlin.de