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Archiv-Artikel

„Bambus ist nett zu dir“

ALTERNATIVE Der Bremer Tobias Meyer stellt in seiner Ein-Mann-Manufaktur „Faserwerk“ Fahrradrahmen aus Bambus her – nachhaltig, leicht, robust – und nicht ganz billig. Bald sollen auch die ersten Teile aus dem nachwachsenden Rohstoff sein

VON THOMAS JOERDENS

In China baut man aus der Pflanze komplette Dörfer. In Lateinamerika setzt die Papierindustrie auf das schnell wachsende Gras. Hierzulande schätzen wir Bambus vor allem als in Form von Sprossen in den Gerichten unserer Lieblings-China-Restaurants. Aber da geht noch mehr: Seit fünf Jahren baut ein Bremer aus den extrem harten Rohren des vielseitigen Bambus Kinderlaufräder und Fahrräder für Erwachsene. Die Gefährte entstehen in der kleinen Souterrain-Manufaktur „Faserwerk“ am Osterdeich, in Sichtweite des Bremer Weserstadions.

Vorbild war ein olles Herrenrad vom Fundamt

Die schlanken Rahmen aus Deutschlands erster Bambusrad-Fabrik sind je nach verwendetem Bambus gelblich, dunkelbraun oder mittelbraun gesprenkelt. Das natürliche Material ist glatt, angenehm, warm. Und unterm Hintern vermittelt ein Bambusrad ein ganz neues Fahrerlebnis. „Es fühlt sich speziell und anders an“, erklärt „Faserwerk“-Gründer Tobias Meyer. „Das Rad ist steif und trotzdem nett zu dir, auf eine sanfte Art. Es passt perfekt zum Menschen.“ Grinsend erinnert er sich an die Jungfernfahrt auf seinem ersten Bambusrad. Als Vorlage für den Prototyp diente ein olles Herrenrad aus dem Fundamt.

Der gelernte Speditionskaufmann und selbstständige 3D-Filmer fährt zwar seit Kindertagen viel Rad und hat zeitweise als Fahrradkurier gearbeitet. Aber vom Rahmenbau hatte Tobias Meyer keine Ahnung. Der groß gewachsene 43-Jährige mit Vollbart und kurzen grauen Haaren konstruierte eine Rahmenlehre. Dann zersägte er das ersteigerte Herrenrad in brauchbare Teile, kaufte Bambusstangen, Hanffasern und -matten sowie Epoxidharz und schließlich klebte, feilte, schnitzte, schmirgelte, polierte, ölte und schraubte er – so lange, bis das fertige Bambusrad endlich in seiner Werkstatt stand.

Eigentlich wollte er seiner Tochter ein Laufrad bauen

Anschließend verwirklichte er seine ursprüngliche Idee und baute für seine Tochter Emma ein Kinderlaufrad aus Bambus. „Ich musste das Material ja zuerst mal selbst testen.“ Vater und Kind waren von ihren Bambusrädern gleichermaßen begeistert; zudem freute sich Tobias Meyer über eine Geschäftsidee.

Nun hat der Jungunternehmer von der Weser mitnichten das Bambusrad erfunden. Schon Ende des 19. Jahrhunderts kurvten die ersten Bambus-Bikes durch Europa. Allerdings waren die Rahmenverbindungen nicht ausgereift, so dass Stahlräder das Rennen machten. Jahrzehnte später folgten Fahrräder aus Aluminium und Karbon. 100 Jahre nach dem rollenden Bambus-Debüt entdeckte der US-Amerikaner Craig Calfee Bambus wieder als den Stoff, aus dem man Fahrräder bauen kann. Der Kalifornier gilt seitdem als Vorreiter in der wachsenden aber immer noch überschaubaren Bambusradszene.

Dabei scheint das verholzende Riesengras, von dem weit über 1.000 verschiedene Arten in Asien, Nord- und Südamerika und in Australien sprießen, nicht bloß unter dem Nachhaltigkeitsaspekt eine gute Alternative zu Stahl oder Alu zu sein. Deren Materialfestigkeit ist mit der von Bambus vergleichbar. Überdies sind Bambusrohre leicht, sehr lange haltbar, und sie absorbieren Stöße. Möglichen Pilz- oder Schimmelbefall verhindern Wärmebehandlung oder Lackieren. Bei einem Unfall splittert Bambus höchstens; Brüche oder Ermüdungen sind unbekannt. Im Gegensatz zu Metall.

Die Leute sind neugierig, aber skeptisch

Trotz der guten Materialeigenschaften und seiner inzwischen mehrjährigen Erfahrung im Bambusfahrradbau radelt Tobias Meyer auf seinen Fabrikaten nach wie vor als Exot durch Bremen und umzu. Aufmerksamkeit, Lob und Neugierde seien ihm jedes Mal sicher, sagt er. Aber bislang habe er weder in seiner Heimatstadt noch anderswo in Norddeutschland eines seiner Unikate verkauft. „Ich hatte mit einem Selbstläufer gerechnet“, sagt Tobias Meyer. Aber er hatte die Skepsis gegenüber dem Werkstoff Bambus nicht bedacht.

Entsprechend leer war anfangs das Auftragsbuch. Nach einer längeren Durststrecke und einem verstärkten Marketing laufe es seit Mitte vergangenen Jahres deutlich besser, das Geschäft trage sich mittlerweile. Tobias Meyers Kunden kommen aus dem Rest Deutschlands; das Kinderlaufrad „bambuki“ verschickt er teilweise auch ins Ausland. Der Fahrradbauer glaubt, dass seine neuen Mitbewerber auf dem deutschen Markt Bambus ebenfalls bekannter und populärer machen werden. Die Firmen „My Boo GmbH“ in Kiel und die Münchener „Zuri GmbH“ lassen die Bambusrahmen in Ghana beziehungsweise in Sambia fertigen und bieten Kompletträder an.

Dagegen entstehen im Bremer „Faserwerk“ Räder nach Maß und aus einer Hand. Tobias Meyer baut seine Rahmen selbst. Aus sechs Meter langen Rohren mit einem Durchmesser von zehn bis 40 Millimeter. Die geeigneten Bambusarten stammen aus China sowie Indonesien und werden bei Tobias Meyer bis zur Verarbeitung ein bis zwei Jahre gelagert in einem extra Raum bei einer konstanten Temperatur. Anschließend versiegelt er die Rohre innen und außen mit einem klaren Bootslack.

Bevor sich der Fahrradbauer an die Arbeit macht, bespricht er mit seinen Kunden jedes Detail und empfiehlt ihnen Probefahrten auf einem Bambusrad. Von der Rahmengeometrie über die Art des Rades bis zur Ausstattung erfüllt Tobias Meyer alle Wünsche. Auch Lackierungen sind möglich, obwohl dann natürlich die charakteristische Bambusoptik futsch wäre.

Wer einen Bambusrahmen bestellt, zahlt dafür im „Faserwerk“ ungefähr 2.000 Euro. Für komplette Räder mit Alugabel müssen Kunden 1.000 bis 1.500 Euro dazurechnen. Das Kinderlaufrad gibt es für 399 Euro. Nach vier bis acht Wochen wird geliefert. Tobias Meyer baut elegante Single-Speed-Renner, robuste Mountain-Bikes oder komfortable Stadt- und Tourenräder. Letztere seien als Bambusversionen besonders gefragt.

Meyer baut jedes Rad nach

Künftig plant Tobias Meyer, monatlich ein bis zwei Räder herzustellen. Das „Faserwerk“ soll eine kleine Manufaktur bleiben, damit der Inhaber weiterhin auf Spezialbedürfnisse eingehen kann. „Das ist meine Stärke“, sagt der Unternehmer, dem darüber hinaus noch zahlreiche Ideen durch den Kopf spuken, die er ausprobieren, umsetzen, anbieten möchte. Tobias Meyer denkt an Schutzbleche, Felgen, Lenker aus eigener Produktion – und aus Bambus, versteht sich.