: berliner szenen Duschgels
Harmlose Leidenschaft
Es ist nicht so, dass ich sie klaue. Ich finde sie. Und dann bekommen sie in meinem Badezimmer ein neues Zuhause. Angefangen habe ich damit auf Campingplätzen während eines Interrail-Urlaubs. Da war ich siebzehn. Und nach dem Urlaub habe ich zu Hause weitergemacht: beim Sport, in der Sauna, im Schwimmbad, im Fitnessstudio. Es ist erstaunlich, wie viele Männer in der Umkleidekabine ihr Duschgel vergessen. Und es sind immer wieder Duschgels dabei, die mit Duftkombinationen aufwarten, auf die ich nie gekommen wäre. Lebkuchen und Orange zum Beispiel.
Mein exotischstes Duschgel habe ich vor zwei Monaten beim Kiesertraining in der Ostseestraße eingesteckt. Es kommt aus Japan und ist voll mit für mich unverständlichen Zeichen. Es riecht sehr gut, aber ich kann nicht sagen, nach was es riecht, weil ich keinen vergleichbaren Geruch kenne. Es riecht sehr langsam. Und so fühlt es sich auch an: wie ein japanischer Film, der nur aus wenigen, langen Kameraeinstellungen besteht.
Seit einigen Jahren hebe ich die leeren Duschgelpackungen auf – als Erinnerungsstücke, immerhin habe ich mit jeder von ihnen eine gemeinsame Zeit verbracht. Meine Sammlung ist mittlerweile so groß, dass ich ein eigenes Regal für sie gekauft habe. Es hat eine raffinierte Hintergrundbeleuchtung, und ich stehe oft vor dem Regal und betrachte meine Duschgels, so wie andere gerne in ihren alten Fotoalben blättern. Mir ist schon klar, dass es nicht viele Menschen gibt, die diese Leidenschaft nachvollziehen können. Aber es ist wirklich eine harmlose Leidenschaft. Ich bin einfach nur ein gut riechender Mann Mitte dreißig, der sich seit knapp zwei Jahrzehnten kein Duschgel mehr gekauft hat.DANIEL KLAUS