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Archiv-Artikel

Der vierte Mann

Andreas Rieke ist einer der größten Popstars in Deutschland, und doch kennt ihn kaum jemand. And.Y, so sein Künstlername, ist der letzte der Fantastischen Vier, der noch in Stuttgart lebt. Er schraubt in seinem Tonstudio in einem Keller im Süden der Stadt an neuen Liedern und bleibt auf der Bühne lieber im Hintergrund. Im Interview entpuppt er sich wider Erwarten als unterhaltsamer und amüsanter Gesprächspartner

Als „die stille Kraft von hinten“ sieht sich Andreas Rieke (44) alias And.Y, Produzent und Soundtüftler bei den Fantastischen Vier, die mit „Die da!?“ 1992 ihren Durchbruch hatten und damit auch gleich den deutschsprachigen Rap auf den Weg brachten. Oben ganz allein in seinem Studio und unten dann wieder neben Smudo, Thomas D und Michi Beck (von links) da, wo Rieke bei den Fantastischen Vier am liebsten steht: etwas im Hintergrund Fotos: Chris Grodotzki/Gnaedinger

Interview von Sandro Mattioli

?And.Y, du hast mit deiner Band Die Fantastischen Vier unzählige Hits geschrieben, die jeder pfeifen kann. Und doch kennen dich nur wenige Leute, weil du dich meistens im Hintergrund hältst.

Ja, ich genieße die Privilegien und halte mich aus dem Ärger raus. Das ist einfach schlau. (lacht)

Du bist ein unbekannter Popstar, ein Widerspruch in sich.

Ich bin die stille Kraft von hinten. Ich habe auch noch einen anderen Spruch für mich zurechtgelegt: Der Hintergrund macht das Bild gesund. Dass ich hinten stehe, ist das Einzige, was die Fantastischen Vier überhaupt zu einer Band macht. Sonst wären wir eine Boygroup. Bands bestehen eben aus Rollenverteilungen.

Ihr seht euch eindeutig als Band?

Jaja, es ist dieses Zusammenspiel, dieses Addieren von Stärken und das Moderieren von Schwächen.

Ihr vier seid extrem unterschiedlich: Du bist eher still, Smudo ist der laute Draufgänger, Thomas D introvertiert mit einem Hang zur Esoterik, und Michi Beck ein Lebemensch. War das nie ein Problem?

Probleme haben wir schon auch, aber wir sind alle sehr harmoniebedürftig. Das ist aber nicht immer gut, weil wir dann Konflikte nicht austragen, wenn wir sollten. Aber egal, das hält uns auf ’ne Art auch zusammen. Ich habe damals das erste Fanta-4-Logo vorgeschlagen, einen Kreis mit vier Pfeilen drin, die in vier Richtungen gehen, das symbolisiert das perfekt. Die innere Wahrheit von Fanta 4 sieht genau so aus: vier Typen, die in getrennte Richtungen gehen, da gibt's keine großen Überschneidungen. Diese vier Grundcharaktere bringen ihre ganz typische Energie mit sich. Die vier Elemente veranschaulichen das gut: Ich bin da Wasser, der Smudo Luft, der Thomas Erde, und der Michi ist Feuer. Diese vier Grundarten, die sind immer da, auf der Bühne wie privat.

Und wenn du auch Feuer wärst?

Das würde nicht gut gehen.

Hattest du nie Lust, die Vorzüge des Rampendaseins zu genießen?

Da gibt's gar keine Vorzüge, aus meiner Sicht jedenfalls. Man muss mehr Interviews geben, man wird noch mehr verkannt von den Leuten. Das Sich-zeigen-Wollen ist vielleicht der initiale Impuls, warum man auf die Bühne geht. Später wird man feststellen, es funktioniert gar nicht. Das ist das Dumme daran.

Wie meinst du das?

Die Leute sehen einen nicht so, wie man ist, sondern sie sehen das, was sie wollen, das Image – egal, ob man jetzt bewusst ein Image aufbaut oder es komplett sein lässt. Man ist nur eine Projektionsfläche, man wird noch weniger gesehen als der Normalmensch.

Und Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll, das alte Versprechen?

Das war von mir damals nicht bewusst formuliert, aber schon anziehend. Ich empfand als junger Mensch ein Defizit an Gesehenwerden und an Wertschätzung, und mich hat es schon früh auf die Bühne gezogen. In der achten Klasse habe ich bei einem Schulfest im Schickhardt-Gymnasium hier in Stuttgart eine Playbackshow gemacht. Ich hatte auf zwei Waschmitteltrommeln Plastikfolie als Felle gespannt und dann auf der Bühne auf denen herumgeklopft, dazu lief Musik vom Band. Ein paar Kumpels mussten so tun, als ob sie singen. Das war eines der frühen Events, schon mit Rhythmus und Vollgas, irgendwie musste es knallen. Popstar zu werden ist ein Traum, aber nicht nur: Es ist auch eine Anlage.

Und bald darauf hast du Smudo kennengelernt?

Das dürfte in der neunten oder zehnten Klasse gewesen sein. Meine Mutter war mit Smudos Mutter befreundet. Er wohnte aber in Gerlingen, am ganz anderen Ende von Stuttgart. Unser gemeinsames Hobby war die Computerei, wir schrieben auch Programme. Der ZX 81 war unser erster Computer, ein Bausatz, ganz grausam. Den würde man heute nicht mal mehr als Taschenrechner bezeichnen. Danach habe ich mit dem VC 64, einem brotkistenförmigen beigen Ding, einen eigenen Rhythmuscomputer gebastelt. Smudo hat Rapstücke angebracht. Das war unser Ding. Damit haben wir uns voll identifiziert und sind auf HipHop und Breakdance abgegangen.

Ihr habt damals schon an eigener Musik gebastelt?

Jein. Irgendwann hat das angefangen. Zunächst haben wir lustige chaotische Hörspiele gemacht, dann irgendwann die ersten eigenen Stücke mit Rap, auf Englisch allerdings. Ich hab auch gerappt, dann allerdings aufgehört, als die anderen auf den Plan getreten sind. Thomas konnte es viel besser, und ich konnte viel besser Beats machen, da hat sich das einfach aussortiert. Wir hießen damals noch The Terminal Team. Die ersten Raps in deutscher Sprache entstanden in einem Seitenprojekt, Die zwielichtigen Zwei. Mit dem Wechsel auf Die Fantastischen Vier rappten wir dann nur noch auf Deutsch.

Wie kam es dazu?

Smudo und Thomas waren zuvor auf einer Amerikareise. Wenn sie dort auf Englisch gerappt haben, war das für die Amerikaner komisch. Auf Deutsch verstanden die Amis zwar nichts, fanden es aber cool. Die Amerikaner schätzen Authentizität. Den harten Sprachklang fanden sie abgefahren, aber rhythmisch prägnant. Dieser Amerikaaufenthalt war wichtig für den Entscheidungsprozess und die Erkenntnis, dass Rap und Muttersprache etwas miteinander zu tun haben.

Warst du froh, als die gekommen sind und du in den Hintergrund treten konntest?

Nö. Es hat mir schon Spaß gemacht, vorne zu stehen und zu rappen. Aber schon im Terminal-Team habe ich mich um die Musik gekümmert und war damit auch beschäftigt genug. Man kann nicht alles machen. Von meinem Naturell her bin ich nicht die Rampensau wie Thomas oder Smudo.

Bei den beiden sieht man: Die stehen vorne und wollen auch vorne stehen.

Und ich steh hinten und will auch hinten stehen. Ich halte die Band auf der Bühne zusammen. Gucke, dass der Laden läuft.

Wünschst du dir nicht mehr Anerkennung für das, was du tust? Bei Fanta 4 denken die Leute eher an Smudo, Thomas D und vielleicht an Michi Beck – und nicht an den, der im Halbschatten steht.

Ähm, ja, Anerkennung möchte ich schon gern haben, das tut einfach gut. Das gibt einem die Sicherheit, dass man an der richtigen Stelle ist.

Du bist auch ein ehrgeiziger Mensch.

Ja, ich wollte schon gern Erfolg haben. Ich wollte nicht im Studio basteln für nix und wieder nix. Fanta 4 haben schon eine Mission gehabt.

Gehabt?

Haben sie immer noch. Die erste Mission war, deutschsprachigen Rap überhaupt in die Öffentlichkeit zu bringen. Das hat damals noch nicht stattgefunden. Mit unserem ersten Album „Jetzt geht's ab“ hatten wir große Problem mit den Radiosendern. Für die war HipHop ein kleiner Modegag, totgesagt, und schon gar nicht deutschsprachige Musik. Nach der in Chaos und Desaster endenden Neuen Deutschen Welle waren die total ängstlich. Etwas Deutsches ins Radio zu bringen war schwierig, und mit HipHop war es doppelt schwierig. Da mussten wir uns schon was einfallen lassen.

Das war dann „Die da“?

Ja, das Stück ist in seiner Form, wie man es kennt, kein Zufall. Es ist absichtlich so gemacht worden, dass es gerade noch durchs Radioraster passt und beim Hörer verstanden werden kann. Es ist ein einfaches Stück mit einer einfachen Story. Das war echt nötig, um durchzukommen, und das war die Mission.

Das hat dann ja auch funktioniert.

Und es hat uns ziemlich überrollt. Es hat sogar viel besser funktioniert, als wir uns das je hätten vorstellen können.

Und hier in deinem Studio schreibst du jetzt an neuen Songs?

Aktuell nicht, aber es geht bald wieder los. Die Fantas werden eine neue Platte produzieren.

Die dann nächstes Jahr erscheint?

Das reicht nicht. Übernächstes Jahr. Wir brauchen etwa anderthalb Jahre Vorlauf.

Wie sieht eigentlich dein Alltag aus?

Ich bin Familienvater. Wenn ich nicht im Studio bin, bin ich als Vater tätig, hab zwei kleine Söhne, die halten mich ganz schön auf Trab.

Das klingt nach einem angenehmen Leben.

Manchmal gibt es aber extrem harte Arbeitsphasen, da kann ein Nine-to-five-Arbeiter sich gar nicht vorstellen, wie sehr man arbeiten kann.

Und wie nimmst du das Auf-Tour-Gehen wahr?

Als anstrengend. Es fordert doch immer wieder alles von allen. Typisch ist, dass man krank wird nach der Tour, weil dann der Körper sein Recht einfordert und mal wieder alles zu viel war.

Auch anstrengend wegen Feiern und wenig Schlaf?

Das haben wir im Vergleich zu früher reduziert, einfach, weil wir älter werden. Dadurch ist die Lust zu feiern nicht mehr so groß. Aber nach einem Konzert ist man total aufgedreht. Ich kann da unmöglich eine Stunde ausruhen und dann schlafen gehen. Typisches Beispiel, auf Tour im Bus, da sitzen wir dann zusammen, rauchen ganz viel und feiern einfach. Diese Energiepushung, die man während des Konzerts erlebt, das ist schon ein Riesenpush, aber den muss man auch verkraften. Den muss man auch irgendwo hinstecken.

Wenn dich jemand fragt, warum man Popstar werden sollte, was antwortest du? Als Jugendlicher ist das ja klar, man kommt bei den Frauen an. Du hast mal gesagt, du warst in der Schule ein Außenseiter.

Wir alle vier, mehr oder weniger. Das ist echt typisch, dass solche Typen, die sich nicht gesehen fühlen, nicht integriert fühlen, dass die mehr tun, um gesehen zu werden.

Der Traum von Mädels, Spaß und Partys also?

Ja, sehr legitime Gründe.

Auch für dich?

Mädels wollte ich auf jeden Fall auch. Welcher junge Mann möchte das nicht. Es gibt verschiedene Wege, die man gehen kann, um dieses Ziel zu erreichen. Genauso wie jede Frau irgendwie einen wertigen Mann haben möchte, der ihre Wertvorstellungen erfüllt und ihr damit das gibt, was sie halt braucht. Männer sind etwas weniger monogam angelegt, grundsätzlich, die wollen erst mal möglichst viele Mädels. Aber das Lustige ist: Der Mann hat eigentlich nicht die Wahl, die liegt bei den Frauen, aber er möchte die Wahl haben.

Und wie ist das, wenn man hinten steht? Ist die Auswahl da auch relativ groß?

Ja, auf jeden Fall. Ich brauch mich da nicht beklagen. Da wird man Popstar und man lebt das, mit vielen Mädels oder ohne viele Mädels, je nach eigenem Naturell, und am Ende merkt man doch, das braucht man eigentlich alles gar nicht. Das ist wie mit vielen Dingen im Leben, vielen Vorstellungen, ich muss dies oder jenes erreichen. Dann erreicht man's und sieht, es hat sich dadurch aber auch gar nichts geändert. Bringt überhaupt gar nichts, in ernsthaften Fragen der Familiengründung, das ist ein Trugschluss. Und gründet auf dem tiefen Instinkt des Mannes, dass er seinen Samen möglichst breitflächig verteilen will, eine Frau ist nicht genug für diese Mission, für die genetische Mission.