Wenn der Mitschnacker kommt

So genannte ErfolgstrainerInnen des „Sicher Stark Teams“ tingeln derzeit im Auftrag der Gewaltprävention durch norddeutsche Grundschulen. Bei einigen ExpertInnen stößt ihr Konzept allerdings auf heftige Kritik. Ein Besuch in einer dritten Klasse einer Bremer Grundschule

„Du bist stärker als du denkst“, predigt der Erfolgstrainer den Mädchen. „Glaube an deine Stärke und du kannst viel erreichen“

VON JAN ZIER

Ein Mann, ein Auto, eine Grundschule gleich um die Ecke. Die Szene ist dem Lehrbuch einschlägiger Rollenspiele entnommen. Er, Ende dreißig, fragt die Kinder nach dem Weg, ihren Lehrern, ihren Hobbys. Sie mögen vielleicht sieben, acht Jahre alt sein. Zu zweit müssen sie an dem Wagen, an dem Mitschnacker, vorbei gehen. Und wer von ihnen dem Fremden zu nahe kommt, sich nicht vorsieht, wird sogleich hinein gesteckt. Die Szene bricht ab.

Der Mann in dem Auto ist Ralf Schmitz. Er ist Trainer. Nein, kein gewöhnlicher: sondern ein „Erfolgstrainer“. Und Teil des „Sicher Stark Teams“ – nach eigenen Angaben einer Deutschlands führenden Anbieter für Kurse zur Gewaltprävention, Spezialgebiet: Kinder. Früher war Schmitz mal Polizeibeamter, arbeitete als Personenschützer für internationale Versicherungskonzerne, als Ausbilder für den Nahkampf, als Trainer im Deutschen Bundestag. Er trägt diverse Schwarzgurte diverser Kampfsportarten. Und hat sich „der Vision“ verschrieben, etwas gegen „all die pädophilen Täter“ zu unternehmen, „die jeden Tag in Deutschland zuschlagen“. 50.000 Kinder sind in zehn Jahren allein durch seine eigenen Kurse gegangen, sagt er.

An diesem Tag sind es 30 Drittklässlerinnen aus Bremen, die in den Genuss eines vierstündigen „Schnupperkurses“ des zweiköpfigen „Sicher-Stark-Teams“ kommen. Es ist eines von 30 Tagesseminaren, die derzeit in ganz Norddeutschland stattfinden. Die Kosten – normalerweise 100 Euro pro Kind – übernimmt die Deutsche BKK, eine Betriebskrankenkasse mit, wie sie selbst sagt, mehr als einer Million Versicherter.

Ohne diesen Sponsor würden die Kurse erst gar nicht stattfinden, auch „Schnupperkurse“ wie dieser nicht, schon gar nicht hier in der Grundschule an der Rechtenflether Straße in Bremens Stadtteil Woltmershausen. Es ist das, was man gemeinhin eine soziale Brennpunktschule nennt, eine mit 270 Kindern. Und eine, in der sich vor den Sommerferien ein fremder Mann „eingeschlichen“ hat, wie die Rektorin Heidi Tetzner erzählt. Passiert sei damals nichts. Aber als sie dann „die Reklame“ des „Sicher Stark Teams“ sah, sei sie „ganz angetan“ gewesen. Und sie ist es immer noch. Fast alle Eltern haben daraufhin ihre Kinder angemeldet, 240 an der Zahl, aufgeteilt auf acht Kurse. Die Schulen dürfen derlei Projekte autonom organisieren – müssen sie dafür aber auch selbst finanzieren. Und für mehr als vier Stunden pro Kind haben die Sponsorengelder auch an der Rechtenflether Straße nicht gereicht.

Ulla Müller von der Beratungsstelle „Schattenriss“, einem Bremer Verein, der seit über 20 Jahren mit missbrauchten Mädchen arbeitet, liest das „Sicher Stark“-Konzept mit „ziemlichen Bauchschmerzen“: Die Liste ihrer Kritikpunkte ist lang. „Viel zu kurz“ seien die Tagesseminare, ein Einwand, den auch manche Eltern teilen. ExpertInnen empfehlen drei, besser fünf bis zehn Termine, mit jeweils wöchentlichen Abständen.

Und überbesetzt seien die Kurse auch. Bei 30 Kindern sei es „unmöglich“, jedes einzelne im Blick zu haben, sagt Müller. Das erscheine nur dem pädagogischen Laien so, sagt Schmitz. Mehr als die Hälfte hätten es nicht sein dürfen, sagen die Qualitätskriterien, die von der Bremer Bildungsbehörde und Schattenriss erarbeitet wurden. Gerne würde Ulla Müller selbst mit dem „Sicher Stark Team“ reden. Doch gefragt wurde sie nicht – die bundesweite Organisation mit Sitz in Euskirchen arbeitet mit lokalen Initiativen, wie Schattenriss eine ist, nur auf deren eigenes Ansinnen zusammen.

Besonders „gruselig“, ja „schrecklich“ findet Müller Rollenspiele, wie die mit dem „Mitschnacker“, der Kinder in seien Auto zerrt. „Da werden womöglich schon erlebte Situationen reaktiviert“, warnt sie. Auch in Bremen weckt ein Kind beim „Sicher Stark Team“ den Verdacht, selbst schon massive Gewalt erfahren zu haben, „wenn auch nicht unbedingt sexuellen Missbrauch“. Man habe mit den Eltern gesprochen, sagt die Erfolgstrainerin dann lapidar, auch mit der Schule. Wie es dann weiter geht – bleibt unklar.

Immer wieder wecken solche Rollenspiele in den Kindern ungute Erinnerungen. „Niemals“, sagt Müller, sollten sie deshalb einfach angefasst werden – schon gar nicht ungefragt. In „unseren eigenen Kursen“, erklärt sie, „sind wir sehr vorsichtig“.

Doch für solche Fragen bleibt an diesem kurzen Vormittag keine Zeit. Auch wenn Diplom-Pädagogin Julia Schlegel von „Sicher Stark“ sehr wohl um die mögliche Grenzverletzung weiß. „Dein Körper gehört dir“, predigt sie den Kindern am Ende. „Du darfst jedes Mal neu entscheiden, ob die Berührung in Ordnung ist.“ Auch bei Onkel und Tante. Oder dem Erfolgstrainer. Und doch: „Einige“, sagt Schlegel, „haben sich das heute nicht getraut.“

Zugleich fordert das „Sicher Stark Team“ von den Drittklässlerinnen weit mehr ein als nur ein bloßes „Nein“. Den „Mitschnacker“, der sie am Arm festhält, ins Auto zerren will, dessen Arm sollen die Kinder mit Wucht „aufs Auto drücken“ berichtet ein Kind den versammelten Eltern – so dass es ihm „richtig weh tut“. Ulla Müller hält nichts von solchen Ratschlägen: „Was die Kinder wirklich tun können“, sagt sie, „ist weglaufen.“ Alles andere „passiert entweder“ – in Panik – oder müsse jahrelang trainiert werden. „Als Erwachsener kann ich so ein Kind doch einfach unter den Arm klemmen.“

Und so passiert es auch an diesem Tag. Die Caroline, erzählt ihre Freundin aus der 3. Klasse, habe der Mann einfach ins Auto gesteckt. Irgendwie habe sie versucht, ihre Klassenkameradin da rauszuholen. „Aber ich habe es nicht geschafft.“ Ralf Schmitz schweigt dazu. Julia Schlegel auch. Lieber sagen sie „Merksätze“ wie diesen: „Du bist stärker als du denkst. Glaube an deine Stärke und du kannst viel erreichen.“ Wer es aber nicht schafft, sagt Schattenriss-Frau Ulla Müller, werde verantwortlich dafür gemacht, was mit ihm passiere. „Die denken dann, sei waren nicht stark genug.“ Und neue Barrieren entstehen.

Schulleiterin Heidi Tetzner ist trotzdem „recht angetan“ von dem, was sie da in den Kursen sieht. Und verspricht auch gleich, das Thema im Unterricht weiter aufzugreifen. Zumal dem Kurs kein Elternabend vorausging, auch das ein Kritikpunkt von externen ExpertInnen wie Ulla Müller. Doch im Konzept von „Sicher Stark“ ist der Elternabend optional. In Bremen beschränkt man sich auf Info-Zettel, dazu einen Besuch des Seminars in der letzten halben Stunde des Schnupperkurses. Wenn die Kinder vom Erlebten erzählen sollen, dürfen, müssen. Und abschließend „einen ganz ehrlichen Daumen“, wie Erfolgstrainer Schmitz das nennt, kollektiv in die Höhe recken.

Doch die Sache rechnet sich nicht, klagt der „Sicher Stark“-Mann seinem Publikum, 250.000 Euro fehlten der Bundesgeschäftsstelle allein in diesem Jahr. Also setzt man auf Spendengelder, auf Merchandising, bietet T-Shirts feil und Hörbücher von Ralf Schmitz, zum Sonderpreis, versteht sich, auch eine Mitgliedschaft im „Sicher Stark Club“ ist dabei. An diesem Tag in Bremen-Woltmershausen geht darauf niemand ein.