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Archiv-Artikel

Endlich angekommen

Die Wolfsburgerin Martina Müller ist die einzige Fußball-Weltmeisterin aus Norddeutschland. Das findet man in der Autostadt so toll, dass die Stürmerin nun von einem PR-Termin zum nächsten hetzt. Aber die Teilzeit-Fußballerin glaubt noch nicht an den Beginn einer neuen Ära für den Frauenfußball

Kein Klose, kein Toni, kein Diego – „Meine Eltern sind meine Vorbilder“, sagt Fußball-Weltmeisterin Martina Müller

AUS WOLFSBURG ANDREAS BOCK

Martina Müller ist erschöpft. Mit lädierter Stimme begrüßt die Weltmeisterin Journalisten, schüttelt Hände, und lächelt, als ihr Klaus Fuchs, Geschäftsführer des VfL Wolfsburg, einen Blumenstrauß und ein gerahmtes Bild überreicht. Dann eilt VfL-Trainer Felix Magath herbei, erzählt davon, dass er selbst mal im WM-Finale stand, aber leider verlor. Etwas neidisch sei er schon, aber natürlich auch stolz auf die einzige Weltmeisterin des VfL Wolfsburg.

Martina Müller versucht frisch drein zu gucken nach zwei Nächten ohne Schlaf. Sie steht vor dem Buffet, zwischen ihrer Mutter Karin und ihrem Bruder Matthias, der aus seiner Hosentasche die Goldmedaille kramt und sie Martina um den Hals hängt.

„Ich freue mich auf mein Sofa“, sagt die 27-Jährige. Sie kennt all das nicht: PR-Termine, Sektempfänge, Posen. Selten spielt Müller mit den Bundesligafrauen des VfL Wolfsburg vor mehr als 600 Zuschauern. Gewiss, die lokale Presse ist stets vor Ort, gelegentlich gibt Martina Müller auch Interviews, etwa für kleinere Onlineportale oder Weblogs. Doch ist das nichts im Vergleich zu den letzten Tagen. „Mit einem solch großen Interesse hätte ich niemals gerechnet“, sagt sie, während Klaus Fuchs erklärt, dass Müller in den nächsten Tagen auch noch dem Wolfsburger Bürgermeister Rolf Schnellecke einen Besuch abstatten wird, um sich in das Goldene Buch der Stadt einzutragen.

Alle wollen sie dabei sein, sich einreihen zwischen den jubelnden Angerers, den Smiseks und Müllers. Und je länger das Team im WM-Turnier blieb, um so selbstverständlicher schien es, mit der Liebe zum Frauenfußball in der Öffentlichkeit zu kokettieren. Selbst ein so leidenschaftlicher Anachronist wie Stefan Effenberg gab zu, dass er sich Frauenfußball anschaue. Stets mittendrin in all den Jubeldeutschen: Dr. Theo Zwanziger, der knuffige DFB-Präsident, der jede Spielerin mit Küsschen begrüßt. Nach dem Endspiel in Peking verriet Zwanziger: „Das war der schönste Tag meines Lebens.“

Doch hier und da liegen sie noch, die Fettnäpfchen. Und manch einer stapft nur allzu gern hinein: „Macht den Männern weiter Druck, damit sie auch wieder Erfolge feiern“, schleuderte Hessens Ministerpräsident Roland Koch den Damen im Frankfurter Römer entgegen. Im Übereifer degradierte er die Frauenmannschaft zu einem Kollektiv von Animateuren, zum Motivator der Herren, damit endlich auch das Sommermärchen ein Happy End bereit halte. Auch in der Loge des VfL Wolfsburg will man zuallererst wissen, ob Martina Müller die Fußballbundesliga der Herren anschaue. Doch Müller gibt sich erstaunlich routiniert: „Ganz selten. Ab und zu die Spiele des VfL Wolfsburg“, antwortet sie. Ob sie denn wenigstens Vorbilder im Männerfußball habe, einen Klose, einen Toni, einen Diego? „Nein, meine Vorbilder sind meine Eltern.“ Punkt.

Auch Martinas Mutter Karin findet das stetige Verweisen auf den Männerfußball absurd. Man sei so auf dem besten Wege wieder zurück ins Jahr 1989, wo die Nationalspielerinnen vom DFB ein Kaffeeservice und ein Bügelbrett als Prämie für den Gewinn der Europameisterschaft erhielten. „Diskriminierend war das“, schimpft Karin Müller. „Wäre es wenigstens etwas Persönliches gewesen …“ Sie schüttelt den Kopf.

Fußball hat in der Familie Müller Tradition. Martinas Mutter schnürte die Stollenschuhe, lange bevor es eine Bundesliga der Frauen gab. Es war ganz normal, dass auch Martina Fußball spielte. In Jugendjahren lernte sie das Spielen in der Nähe von Kassel, wo ihre Eltern heute noch wohnen. Es folgte eine fast beispiellose Karriere: Mit 18 Jahren wechselte Martina Müller zum damaligen Meister FSV Frankfurt, drei Jahre später debütierte sie in der Nationalmannschaft, wurde Europameisterin und 2003 zum ersten Mal Weltmeisterin. Überraschend heuerte Müller im Sommer 2005 beim damaligen Zweitligisten VfL Wolfsburg an. Dank ihrer 36 Tore spielen die Niedersächsinnen nun wieder in der höchsten Spielklasse der Frauen.

Heute ist Martina Müller Stammspielerin im Verein, doch in der Nationalmannschaft bleibt ihr trotz einer beeindruckenden Torquote oftmals nur die Joker-Rolle. Die Konkurrenz ist mit Spielerinnen wie Birgit Prinz oder Sandra Smisek einfach zu groß. Martina Müller hat sich damit arrangiert. „Ich finde schnell in ein Spiel“, sagt sie und auch Bundestrainerin Silvia Neid attestierte ihr Präsenz, sie sei „sofort voll da“. Und tatsächlich: Im Viertelfinale gegen Norwegen markierte Müller wenige Minuten nach ihrer Einwechslung das Tor zum 3 : 0 -Endstand.

Doch trotz dieses rasanten Aufstiegs, trotz des zweiten WM-Titels, der 55.000 Euro Prämie und des momentanen PR-Rummels – Martina Müller kann vom Fußball alleine nicht leben. Die Sportsoldatin jobbt vier Tage die Woche im Ticket- und Fanartikelverkauf des VfL Wolfsburg. Sie wird das auch weiterhin tun, denn an den Boom, den Zwanziger oder auch Fifa-Chef Sepp Blatter prophezeien, scheint sie nicht zu glauben. Sie begreift das Post-WM-Spektakel eher als schöne Momentaufnahme: „Vielleicht kommen am Samstag ein paar mehr Zuschauer ins Station“, überlegt sie und schaut etwas ungläubig auf die Mikrofonpuschel. In Gedanken ist sie längst in ihrem Schlafzimmer. Morgen ist ihr erster freier Tag.