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Archiv-Artikel

Der Zähler läuft rückwärts

ENERGIE Die Zahl der Strom- und Gasabdrehungen ist im Jahr 2014 zurückgegangen. Ein Grund: mehr Mahnungen. Ein anderer: die Arbeit der Schuldnerberatungsstelle GVS. Doch die wird nicht mehr finanziert

„Jede Stromabklemmung ist immer noch eine zu viel“

ALEXANDER SPIES, PIRATENFRAKTION

VON MALENE GÜRGEN

Im Dunkeln sitzen mussten Günther Jauch, seine Studiogäste sowie gut 1.000 Schöneberger Haushalte am Sonntagabend nur kurz – ein Stromausfall war schnell wieder behoben. Für BerlinerInnen, die mit ihren Zahlungen im Rückstand sind, kann das länger dauern: Bei ausstehenden Zahlungen von mehr als 100 Euro kann der Stromversorger den Strom abstellen, bei der Gasversorgung ist das bei offenen Rechnungen über 50 Euro möglich.

Von diesen Abklemmungen waren im letzten Jahr allerdings weniger Menschen betroffen als im Jahr 2013, wie aktuelle Zahlen zeigen: 16.011 Menschen wurde der Strom abgestellt, 1.173 weniger als im Vorjahr. Bei den Sperrungen der Gasanschlüsse ist der Rückgang noch deutlicher: 2.184 Menschen waren 2014 davon betroffen – 728 weniger als im letzten Jahr, ein Rückgang von 25 Prozent. Die meisten Stromabklemmungen gibt es in den Bezirken Mitte und Marzahn-Hellersdorf, in denen jeweils knapp 2.000 Haushalte betroffen waren, am wenigsten in Steglitz-Zehlendorf, wo nur 531 Mal der Strom abgestellt wurde.

„Jede Abklemmung weniger ist etwas Gutes, wir freuen uns deswegen sehr über den Rückgang“, sagt Vattenfall-Sprecherin Julia Klausch. Über die Ursachen könne man allerdings nur spekulieren: „Da spielen sicher verschiedene Gründe eine Rolle, etwa die allgemeine positive wirtschaftliche Entwicklung“, so Klausch. Auch firmeninterne Entscheidungen könnten eine Rolle gespielt haben: So wurde bei Vattenfall im April eine dritte Mahnstufe eingeführt, bei der Gasag wird mittlerweile jede Mahnung mit einer Sperrandrohung versehen.

Die aktuellen Zahlen teilte der Senat auf Anfrage des Piraten-Abgeordneten Alexander Spies mit. Spies, sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion, begrüßt den Rückgang ebenfalls, mahnt jedoch gleichzeitig: „Jede Abklemmung ist immer noch eine zu viel.“ Außerdem hat er Bedenken, ob sich der positive Trend fortsetzen wird. Denn die „Gemeinnützige Gesellschaft für Verbraucher- und Sozialberatung“ (GVS), die bisher Menschen mit Energieschulden beriet, musste zum Ende des Jahres ihre Arbeit einstellen. Der Grund: Vattenfall stellte die Finanzierung der unabhängigen Beratung ein.

„Die Beratungsangebote der GVS haben sich sehr bewährt, das weiß ich aus vielen Gesprächen“, sagt Alexander Spies. Um Abklemmungen zu verhindern, müsse das Land die Finanzierung übernehmen. Nach Angaben Vattenfalls nahmen im Durchschnitt 300 Kunden pro Jahr das Angebot in Anspruch, 280.000 Euro habe der Konzern jährlich dafür ausgegeben.

Auch Stefan Taschner vom Berliner Energietisch sieht einen Zusammenhang zwischen den gesunkenen Zahlen und der Arbeit der GVS – und fordert die Wiedereinführung einer solchen Beratungsstelle. „Seit es die GVS nicht mehr gibt, rufen die Betroffenen teilweise bei uns an, weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen“, sagt Taschner. Sich von Vattenfall selbst beraten zu lassen, wie es der Konzern vorschlägt, komme für viele nicht in Frage: „Es braucht eine unabhängige, dritte Stelle, um diese Probleme lösen zu können“, so Taschner. Auch eine allgemeine Schuldenberatung könne diese Aufgabe nicht erfüllen: „Es ist ein großer Unterschied, ob jemand etwa Schulden wegen des Kaufs eines Fernsehers hat oder ob die Schulden bei einem Energieversorger, also im Bereich der Grundversorgung, liegen“, so der Energietisch-Sprecher.