Dreimal lesbar

The Man Booker Prize 2011 für Julian Barnes

Der Schriftsteller Julian Barnes konnte Dienstagnacht den diesjährigen Man Booker Prize freudestrahlend und, wie in Großbritannien bei feierlichen Anlässen üblich, in Frack und Fliege entgegennehmen. In den Wochen zuvor war aber über diese wichtigste literarische Auszeichnung des Commonwealth offen eine interessante Debatte geführt worden. Im Zentrum stand eine Äußerung von Stella Rimington, der Sprecherin der diesjährigen Jury. „Readability“, Lesbarkeit also, hatte sie als entscheidendes Kriterium für einen würdigen Preisträger angegeben. Das wurde ihr dann in der literarischen Öffentlichkeit Großbritanniens ziemlich um die Ohren gehauen. Die Jury würde Populismus über literarische Qualität stellen, hieß es.

Mit der Preisverleihung haben sich die Gemüter nun wieder beruhigt. Nicht nur weil in Julian Barnes ein Preisträger gefunden wurde, bei dem die Unterscheidung zwischen Lesbarkeit und literarischer Qualität wenig Sinn ergibt; seine Romane – „Flauberts Papagei“, „Liebe usw.“ und nun sicher auch der preisgekrönte, noch nicht ins Deutsche übersetzte Kurzroman „The Sense of an Ending“ – sind lesbar und hochliterarisch. Sondern vor allem, weil sich Stella Rimington gut aus der Affäre zog. Der preisgekrönte Roman sei „sehr lesbar“, sagte sie, „aber nicht nur einmal lesbar, sondern zweimal oder gar dreimal“. Man bekomme immer neue Informationen. Und Julian Barnes selbst nahm in seiner Dankesrede allen Lesbarkeitsverächtern souverän den Wind aus den Segeln: Die allermeisten großen Romane seien in irgendeiner Weise lesbar; aber letztlich sage das doch wenig über sie aus.

In der Tat kann man aus dieser britischen Debatte gut lernen, dass es prinzipiell wenig erhellend ist, zwischen Lesbarkeit und Qualität zu differenzieren. Wahrscheinlich ist er nur deshalb so beliebt, auch hierzulande, weil es beiden Seiten, den Lesbarkeitsforderern wie den Lesbarkeitsverächtern, erlaubt, sich zu erregen, ohne genau erklären zu müssen, was für eine Literatur genau sie eigentlich wollen. DRK