: Nutzt endlich unser Potenzial!
BRAIN DRAIN Im Haus der Kulturen der Welt wurde bei „Abschied aus Almanya“ über Defizite der Integrationsdebatte diskutiert
Thilo Sarrazin hat recht: Deutschland schafft sich ab. Einer aktuellen Studie zufolge denkt über ein Drittel aller deutschtürkischen AkademikerInnen darüber nach, in die Türkei auszuwandern. In den letzten Jahren hat, von der öffentlichen Diskussion weitgehend ignoriert, ein „Brain Drain“ aus Wirtschaft und Kultur in Richtung Türkei eingesetzt.
Kamuran Sezer, Sozialwissenschaftler und Leiter der Langzeitstudie über die Rückkehrabsichten türkischstämmiger AkademikerInnen, sagt: „Deutschland hat die Folgen der demografischen Entwicklung verschlafen. In fünf Jahren werden 350.000 Fachkräfte fehlen. Anstatt sich um Menschen mit Migrationshintergrund zu bemühen, führt man hier Islamdebatten.“
Im „Haus der Kulturen der Welt“ kam es am Samstag zur Debatte „Abschied aus Almanya“ über die zunehmende Abwanderung aus Deutschland. Neben Kamuran Sezer diskutierten Hatice Akyün, Ali Aslan, Aysun Bademsoy, Martina Priessner, Elif Cindik und Ipek Ipekcioglu die Frage, was gut ausgebildete Menschen dazu bewegt, dem Land den Rücken zu kehren, in dem sie aufgewachsen sind.
Elif Cindik, Fachärztin für Psychiatrie, vertrat die Ansicht, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der deutschen Arbeitswelt immer noch diskriminiert werden. Sie warf die Frage auf, wie es sein kann, dass, obwohl in Deutschland mittlerweile jeder Fünfte einen Migrationshintergrund hat, sich diese Zahlen nicht in den politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen widerspiegeln. Als Konsequenz forderte sie die Einführung einer Migrantenquote. Hatice Akykün, freie Journalistin und Schriftstellerin, wäre dagegen schon zufrieden, wenn sich in Deutschland endlich eine Partizipationskultur durchsetzen würde. Teilhabe und nicht Integration oder gar Assimilation ist für sie das Zauberwort der Zukunft. Und Kamuran Sezer meinte, dass die Deutschen endlich von ihrem hohen Ross herabsteigen und mit aller Anstrengung um jeden hochqualifizierten Deutschen mit Migrationshintergrund kämpfen sollten. Denn ansonsten, sagte er, seien die einfach weg und steigern das Bruttosozialprodukt in der Türkei anstatt in Deutschland.
Vorbild Profifußball
Was im Sport bereits gang und gäbe ist, scheint sich langsam auch auf andere Themenfelder der Gesellschaft auszuweiten. Der deutsche und der türkische Fußballbund streiten sich um die gleichen Spieler. Der DFB hat schon längst erkannt, dass er sich um in Deutschland ausgebildete Spieler mit Migrationshintergrund kümmern muss. Bei der letzten Weltmeisterschaft hatten elf von 23 Spielern in der deutschen Nationalmannschaft einen Migrationshintergrund. Kaum einer mag sich die Nationalmannschaft ohne Jerome Boateng, Sami Khedira oder Mesut Özil vorstellen.
Die Diskussion im „Haus der Kulturen der Welt“ hat gezeigt, dass es an der Zeit ist, die sogenannte „Integrationsdebatte“ anders zu führen. Auf dem Podium diskutierten ein deutschtürkischer Sozialwissenschaftler, eine deutschtürkische DJane, eine deutschtürkische Dokumentarfilmerin, ein deutschtürkischer Berater der Bundesregierung und eine deutschtürkische Journalistin selbstbewusst über die Zukunft der Deutschtürken in der Gesellschaft. Und das Fazit war: Wir sind gut, wir sind intelligent, ihr braucht uns, nutzt endlich unser Potenzial!
ALEM GRABOVAC