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Archiv-Artikel

Eine innovative Idee, aber nur laue Förderung

STARTSCHWIERIGKEITEN Bolivien hat ein eigenes nationales Biosiegel aus der Taufe gehoben. Doch anders als geplant, wartet das Label immer noch auf seinen Durchbruch. Das hat vor allem zwei Gründe: Es fehlt an Märkten und an der nötigen Unterstützung von oben

Auf kostspielige Bodenproben und internationale Experten wird verzichtet

VON KNUT HENKEL

Wasser gurgelt durch den kleinen Kanal, den Carlos Rainaga Vargas durch das Ziehen einer dicken Holzbohle geöffnet hat, um sein Feld zu bewässern. Der 64-jährige Mann blickt über den Acker. „Die Setzlinge für Kopfsalat, Mohrrüben, Kartoffeln und Zwiebeln ziehe ich selbst“, erklärt der Bauer, den ein dunkler Hut vor der hochstehenden Sonne schützt. „Gegen Schädlinge gehe ich mit dem Sud von Knoblauch oder Chili vor. Das hilft und meine Erträge können sich sehen lassen. Bloß beim Verkauf hapert es“, klagt der kleine Mann. „Bisher erhalten wir für unsere Gemüse den gleichen Preis wie für konventionelle Ware“, ärgert sich Vargas, der meist auf dem Markt im Dorf Itapaya oder manchmal auch in Sipe Sipe, dem nächsten größeren Ort verkauft.

Das rund 35 Kilometer entfernte Cochabamba ist für ihn zu weit, denn Vargas hat keinen Pick-up und muss den Transport jedes Mal selbst organisieren „Zu kostspielig“, sagt er schulterzuckend. Keine einfachen Bedingungen, weiß Ricardo Torres vom Nationalen Rat für ökologische Produktion der bolivianischen Regierung (Cenape). Ziel der halbstaatlichen Organisation, der auch der Verband der Biobauern Boliviens (Aopeb) und die relevanten Ministerien angehören, ist es, Kleinbauern an den ökologischen Anbau heranzuführen und Bioprodukte auf dem nationalen Markt flächendeckend anzubieten.

„Bisher werden rund 90 Prozent der organischen Produktion exportiert, nur zehn Prozent werden im Land konsumiert. Das soll sich ändern“, sagt Ricardo Torres. „Dafür haben wir im Frühjahr 2012 ein alternatives Biosiegel aus der Taufe gehoben. Ökoprodukte sollen auch für die lokale Bevölkerung erschwinglich werden.“

Die Grundidee dahinter ist einfach: Da die Zertifizierung von Bioprodukten durch international agierende Unternehmen wie Bio Latina oder die deutsche BCS Öko Garantie aus Nürnberg kostspielig ist, setzt man auf eine preiswertere lokale Alternative. Sprich, man hat in Bolivien ein eigenes Label kreiert, dass ganz unspektakulär „Producto Ecólogico – Bolivia Estado Plurinacional“ heißt. Das bedeutet auf deutsch so viel wie „Bioprodukt aus dem Vielnationenstaat Bolivien“.

Dieses Label soll dem Verbraucher signalisieren, dass die Produzenten nach ökologischen Standards produzieren. Das wird jedoch nicht durch kostspielige Bodenproben und von internationalen Experten überprüft, sondern von den lokalen Produzenten und Konsumenten sowie von Fachleuten des nationalen Bioverbandes Aopeb und der Cenape von Ricardo Torres.

„Das ist billiger und wegweisend“, ist sich Torres sicher. Knapp 8.000 Kleinproduzenten hat er seit dem Start des Labels bescheinigt, dass sie biologisch produzieren und fortan ihre Produkte mit dem Siegel verkaufen können. Auf dem kleinen Biomarkt von Cochabamba haben alle der rund zwei Dutzend Anbieter das Zertifikat ausliegen. In der viertgrößten Stadt Boliviens findet jeden Mittwoch ein Biomarkt in der Nähe der Universität statt.

An rund zwei Dutzend Ständen wird Gemüse, aber auch Marmelade, Früchte, Pasten und Eingemachtes verkauft. „Das Siegel sorgt bei den Konsumenten für Glaubwürdigkeit“, sagt Mauricio Bagatini. Der gebürtige Italiener bietet neben einem riesigen Kürbis, den er gerade angeschnitten hat, diverse marinierte Gemüse, getrocknete und passierte Tomaten und Biokosmetik an. „Noch wichtiger als das Siegel ist jedoch der direkte Kontakt zwischen Produzent und Konsument, das schafft erst das Vertrauen, das für uns so wichtig ist“, so der Italiener.

Der zog vor 18 Jahren nach Bolivien und lebt von den Produkten aus dem eigenen Garten, die mariniert, püriert oder anderweitig verarbeitet angeboten werden. Zu seinen Kunden gehören Mitarbeiter der nahen Universität, die Wert auf ihre Gesundheit legen und wissen, dass Tomaten oft mehrfach besprüht werden sowie Leute, die Wert auf einen unverfälschten Geschmack legen. Der Kreis dieser Besseresser in Cochabamba ist nicht sonderlich groß. „Aber er wächst, wenn auch langsam“, sagt Bagatini.

Der 48-Jährige ist der Vorsitzende des kleinen Vereins der Bioferia, ständig auf der Suche nach neuen Mitgliedern und deshalb immer dabei, wenn im Umkreis von Cochabamba nationale Biosiegel vergeben werden. Die zweihundert Kilometer von La Paz entfernte Stadt ist ein Vorreiter der Bioproduktion, die Bioferia hat bereits ihren zehnten Geburtstag gefeiert und folgerichtig ist auch Ricardo Torres, der nationale Beauftragte für das Siegel, regelmäßig vor Ort.

Doch das allein reicht nicht, wie er zugibt: „Eigentlich müssten wir in allen Gemeinden, Municipios, des Landes präsent sein und mit den Bauern dort arbeiten, sie informieren wie Bioanbau funktioniert und wie man sich für das nationale Biosiegel bewirbt.“ Doch dafür reichen die Mittel nicht.

Die Cenape und der mit ihr zusammenarbeitende Verband der Bioproduzenten Boliviens Aopeb agieren gerade einmal in 26 der 339 Gemeinden Boliviens. Auch dort fehlt es an Märkten wie das Beispiel von Carlos Rainaga Vargas zeigt und Boliviens Politik gibt widersprüchliche Signale von sich. Das Gros der Gelder, die bisher in das Siegel und die Entwicklung der Strukturen flossen, kamen bisher aus dem Ausland – aus Deutschland, aus der Schweiz, aus Skandinavien.

Aus den Töpfen der bolivianischen Regierung floss bisher nur wenig und Priorität scheint das Siegel im Agrarministerium nicht zu haben. Das setzt zumindest auch auf die agroindustrielle Produktion von Soja und Hühnerfleisch im Tiefland von Santa Cruz.

„Programme zur Förderung von kleinbäuerlichen Strukturen kommen hingegen nicht so recht“, kritisiert Torres. Er hofft, in der gerade begonnenen neuen Legislaturperiode auf mehr Mittel, um dem Siegel zum Durchbruch zu verhelfen. Sollte dies in den kommenden Jahren gelingen,könnte es durchaus noch Modellcharakter für andere Länder entfalten.