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Archiv-Artikel

Ein Fremdkörper im Hongkong-Kino

KINO AUS SÜDOSTASIEN Marcy wechselt mehrmals das Geschlecht: Die Pfade sind oft gewunden, auf denen sich die Filme des „Asian Film Festival“ im Haus der Kulturen der Welt der Realität nähern

Zwischen Yoga, Aerobic, Slow Food und feministischer politischer Agitation – alles bisher absolute Fremdkörper im Hongkongfilm – entsteht eine neue und, daran lässt der Film keinen Zweifel, bessere Gemeinschaft

VON LUKAS FOERSTER

Als Dado, ein philippinischer Arbeitsmigrant, am Flughafen der taiwanischen Hauptstadt Taipeh ankommt, begegnet er gleich einer möglichen Zukunft: Ein unbekannter Mann spricht ihn auf Philippinisch an. Es dauert ein wenig, bis Dado erkennt, dass der Mann Handschellen trägt und gerade aus Taiwan abgeschoben wird.

Diese lakonische Eingangssequenz ist ein unverzichtbares Gegenbild zum freundlichen Humanismus, der den taiwanischen Film „Pinoy Sunday“ über weite Strecken prägt. Die Geschichte um zwei arme Immigranten – Dado und seinen Freund Manuel –, die auf der Straße ein rotes Sofa finden, mit ihm durch die Stadt irren, zufällig ein Leben retten und kurzfristig zu Medienstars avancieren, funktioniert nur, weil sie um ihre Unwahrscheinlichkeit weiß.

Kino ohne Ort

In den nächsten Tagen kann man eine ganze Reihe von Filmen kennen lernen, die sich der sozialen Wirklichkeit auf derart gewundenen Pfaden nähern. Das „Asian Film Festival“, das vom 26. bis zum 30. Oktober im Haus der Kulturen der Welt zum dritten Mal stattfindet, hieß in seinen ersten Ausgaben „Asian Women’s Film Festival“. Schwerpunkt bleibt auch nach der thematischen Neuausrichtung der ost- und südostasiatische Autorenfilm aus Japan, Südkorea, Thailand, Hongkong oder eben Taiwan, der im Alltagsgeschäft der deutschen Kinos heute weniger denn je einen Ort hat.

Zusammengehalten wird die Auswahl der dokumentarischen und fiktionalen Arbeiten von Fragen nach Identitätsbildung und -wandel. Das lässt verschiedene ästhetische und ideologische Positionierungen zulässt: Der thailändische Eröffnungsfilm „Bi, Don’t Be Afraid“ und der taiwanische Beitrag „When Love Comes“ gehen beide von innerfamiliären Problemen – hier Entfremdung, Untreue und Eifersucht, da Teenageschwangerschaft und Intoleranz – aus, haben dann aber sehr unterschiedliche Fluchtpunkte: Wo „When Love Comes“ seine Probleme eskalieren lässt und dann in Tränen und sanft auf dem Klavier angeschlagenen Mollakkorden auflöst, bleibt „Bi, Don’t Be Afraid“ bis zum Ende opak, da leben nur noch ein paar einsame Körper mit ihren nicht kommunizierbaren Fetischen nebeneinander her.

Die Grand Dame von Hongkong

Ein herausragender Film des Programms stammt von einer Grand Dame des Hongkong-Kinos: Ann Hui dreht seit den späten siebziger Jahren, ungeachtet aller Höhen und Tiefen der lokalen Filmindustrie, einen Film nach dem anderen. In ihrer Filmografie stehen eindringliche Sozialdramen neben kommerziell ausgerichteten Action- und Horrorfilmen. Allen gemeinsam ist ihr sorgfältiger, liebevoller Umgang mit den Figuren und ihre visuelle Eleganz.

Mit Mitte 60 hat die Regisseurin nun einen ihrer wagemutigsten Filme gedreht: Das Hongkongkino beschäftigt sich so gut wie nie ernsthaft mit Homosexualität, dass ein Mainstreamfilm fast ausschließlich in der lesbischen Community der Stadt spielt, ist eine absolute Novität. Und Marcy, die Heldin in „All About Love“, ist selbst innerhalb dieser Community eine Außenseiterin: die Anwältin hat ihre sexuelle Identität mehrmals gewechselt, versteht sich jetzt als bisexuell und als Robert, ein alternder Mann, der gleich im ersten Gespräch zugibt, seine Frau geschlagen zu haben, sie um professionelle Hilfe bittet, willigt sie nicht nur, zum Schrecken ihrer Freundinnen, ein, ihn vor Gericht zu vertreten, sondern lässt sich auch noch von ihm schwängern. Gleichzeitig beginnt sie eine Affäre mit ihrer alten Bekannten Anita, die wiederum nach einem One-Night-Stand vom jungen Mike gestalkt wird. Zwischen Yoga, Aerobic, Slow Food und feministischer politischer Agitation – alles bisher absolute Fremdkörper im Hongkongfilm – entsteht eine neue und, daran lässt der Film keinen Zweifel, bessere Gemeinschaft.

Dass daraus nicht bloß ein liberales Lehrstück wird, sondern ein ergreifendes Stück Kino, liegt an Huis sensibler Regie; an ihrem Interesse für die Eigenheiten ihrer Figuren, den Rissen in der coolen Souveränität von Marcys Ex Eleanor, der existenziellen Hilflosigkeit Marcys vor allem, die am eigenen Leib den asozialen, weil letztlich niemandem vermittelbaren Aspekt von Liebe und Verlangen erfährt. Es liegt auch an der Art, wie Hui die Straßen Hongkongs filmt: Immer wieder taucht leitmotivisch eine überdachte Rolltreppe auf, die in ihrer ruhigen, gleichmäßigen Fahrt den gesamten Film sanft in Richtung einer utopisch gefärbten Zukunftsvision zu verschieben scheint.

■ Asian Film Festival Berlin: ab 26. 10. im Haus der Kulturen der Welt, info unter www.hkw.de