Wenn das Meer anschwillt

Aidan Baker gehört zu diesen ruhelosen Naturen, die anscheinend nicht anders können, als ständig Dinge hervorzubringen. Ganz gleich, ob der in Berlin lebende Kanadier mit seiner Freundin Leah Buckareff unter dem Namen Nadja gewitterwolkigen Ambient-Drone spielt oder sich solo zwischen Post-Rock, Freiform und Noise bewegt, kommt er stets auf eine beachtliche Zahl von Veröffentlichungen. Mehr als 50 Alben sind seit 2003 allein von Nadja erschienen. Prosa- und Lyrikbände hat der studierte Literaturwissenschaftler ebenfalls verfasst.

Bei all dieser Produktivität – in einigen Jahren kamen gut zehn Solotitel von ihm heraus – ist es fast schon irritierend, wenn eine Schallplatte aus diesem unübersichtlichen Opus jetzt mit einem Reissue geadelt wird. „The Sea Swells a Bit“ zeichnet sich jedoch nicht bloß durch einen poetischen Titel aus, es ist zudem eine besonders fein gewirkte Suite aus drei ausgedehnten Stücken, in denen an der Oberfläche wenig zu passieren scheint, die aber ihre kleinen Details so fein variieren, dass man sich in diesen ruhig fließenden Epen verlieren kann, ohne zwangsläufig einschlafen zu müssen.

Das Titelstück scheint seine eigene Aussage über 20 Minuten mit musikalischem Mitteln bestätigen zu wollen: Fragile Gitarrentöne werden durch Echos allmählich verformt, während, kaum vernehmlich, ein wie gegen den Takt arbeitendes hauchzartes Schlagzeug eine Unterströmung erzeugt. Die beiden anderen Stücke führen diese Idee in weitere Richtungen fort. Und wie um die Vielfältigkeit dieses minimalen Ansatzes betonen zu wollen, bietet die Neuauflage des Albums – zugleich die erste Vinylausgabe – eine noch entrücktere Liveversion von „The Sea Swells a Bit“ als Zugabe.

Ähnlich produktiv wie Aidan Baker ist der Berliner Saxofonist, Klarinettist und Komponist Gebhard Ullmann. Mit „Hat and Shoes“ hat er jetzt sein 50. Album vorgelegt, unterstützt von seiner Band Basement Research. Drei Bläser, Bass und Schlagzeug sorgen für hohe Beweglichkeit, was Nummern wie „Wo bitte geht’s zu den Hackeschen Höfen?“ eindrücklich vormachen: Von spiralartig vorantreibender Rhythmik bis zu vermeintlich entropischem Stillstand reicht diese improvisierte Frage eines Ortsunkundigen, die von der Spannung aus Formstrenge und ihrer Auflösung lebt. Ullmann gibt sich dabei stilistisch vielseitig von avantgardistisch bis melodisch-zugänglich. Mitunter swingt es sogar. TIM CASPAR BOEHME

■ Aidan Baker: „The Sea Swells a Bit“ (Ici d’ailleurs / Mind Travels)

■ Gebhard Ullmann Basement Research: „Hat and Shoes“ (Between the Lines / Codaex)