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Archiv-Artikel

Welcome, fiktive Menschen!

Beim Festival „eigenarten“ lässt sich erkunden, wie es sich anfühlt, in Hamburg eine neue Heimat zu suchen. Eine „Fiktionsbescheinigung“ gehört oft dazu – hier wird sie künstlerisch verarbeitet

DAS FESTIVAL

Das interkulturelle Festival „eigenarten“, das im vergangenen Jahr 4.000 Besucher zählte, bietet vor allem jungen Künstlern die Möglichkeit, sich in Vernissagen, Theaterstücken, Filmen, Konzerten und Lesungen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dieses Jahr beschäftigen sich 31 Künstler und Gruppen aus 25 Kulturkreisen mit Hamburg als neuer Heimat. Hauptanlaufstelle ist das Goldbekhaus.  JR

von JESSICA RICCÒ

Wo die offizielle Ausländerpolitik hinwill, ist das interkulturelle Festival „eigenarten“ bereits: Während der Schwerpunkt sonst auf „den Herkunftsländern der teilnehmenden Künstler“ gelegen habe, gehe es dieses Jahr „um Hamburg als neue Heimat und die unterschiedlichen Blickwinkel auf diese Stadt“, sagt Programmleiterin Judy Engelhard.

So zeigen im Theaterstück „Akwaaba“ acht Frauen, wie es ist, in Hamburg anzukommen. Sie alle sind aus ihrer Heimat geflohen, aus Armenien, Togo, Afghanistan, Benin und Kurdistan und spielen im Winterhuder Goldbekhaus Szenen aus ihrem Alltag nach.

Einen weniger idyllischen Stadtteil wählten Andrei Rubtsov und Evgeni Mestetschkin für ihr Theaterprojekt „Zwei Russen auf der Stresemannstraße“. Unterhalb der Sternbrücke zeigen sie, wie Hamburg zwar nicht überall nur Alster, Jungfernstieg und Hafen ist – dafür kann man sich an der lauten Kreuzung aber wie zu Hause fühlen.

Für Zugezogene wird das Festival eventuell mehr Wiedererkennungswert zu bieten haben, nicht zuletzt da einige Veranstaltungen wie die Lesungen „Küsse in der Moschee“ und „Carolas andere Tode“ im Goethe-Institut zweisprachig auf Deutsch und Persisch stattfinden.

Den Schriftsteller Selim Özdogan hingegen kann man im Café Catwalk hören. Während der Chamisso-Preisträger in seinen früheren Werken einen großen Bogen um seine Reduzierung auf „den Deutsch-Türken“ machte, setzt er sich in „Erstaunlich flogen die Wörter herum“ nun zähneknirschend mit Kommentaren zu seinem „guten Deutsch“ beziehungsweise Türkisch auseinander.

Und auch das musikalische Kabarett „Bier mit Wodka“ beschäftigt sich mit Vorurteilen: Dort klärt sich die Frage, ob Russen perfekt die Toccata und Fuge auf einem beliebigen Akkordeon spielen können und Deutsche immer den Müll trennen.

„Wir wollen nicht nur Fachleute mit dem Festival erreichen,“ meint Judy Engelhard, „sondern auch Publikum anlocken, dass sich zwar für Kultur interessiert, aber normalerweise nicht in Galerien und Theater traut. Daher ist das Angebot der ‚eigenarten‘ sehr breit gefächert.“

Ernster nähert sich Dario Aguirre den Themen Fremde und Integration. Seine Dokumentation „Mein letzter Tag als fiktiver Mensch“ wird gemeinsam mit anderen Kurzfilmen von Schülern der HfBK im Abaton Kino gezeigt. Darin geht Aguirre der Frage nach: „Wie würdest du reagieren, wenn du eine ‚Fiktionsbescheinigung‘ bekommst?“ Die Bekanntschaft mit der Vorstufe zur Aufenthaltsgenehmigung machte Dario Aguirre vor acht Jahren, als er von Ecuador nach Deutschland zog. „Man empfindet die Fremde als eine diffuse Wahrheit“, meint der Künstler. „Dabei kann man zwar nicht jedes Wort, aber dennoch den Sinn verstehen.“

Wem Theater, Kino, Kabarett noch immer zu sehr im Mainstream schwimmen, kann in der Galerie Kunstnah in Altona die Arbeiten von 16 Künstlern aus 10 Nationen betrachten. „Green(c)art“ heißt die Ausstellung, in der die Künstlerin Maksa einen globalen Pass fordert, die Autorin Antonella Romeo aus „La deutsche Vita“ erzählt und eine migrierte russische Künstlerfamilie ihre Geschichte in Bildern und Fotos zeigt.

Festival „eigenarten“: 25. Oktober bis 4. November