ORTSTERMIN: BEIM FUSSBALL-LÄNDERSPIEL DEUTSCHLAND-SCHWEDEN
: Keine Modefans am Millerntor

Für manchen Traditionsfan des FC St. Pauli wäre der Anblick eine Freude: Wo sich sonst die ungeliebten Modefans drängeln, in den VIP-Logen und auf den Business Seats, herrschte gähnende Leere, als die deutsche Frauen-Nationalmannschaft am Mittwochabend 1:0 gegen Schweden gewinnt. „Heute vermissen wir euch“, steht auf einem Transparent vor den verwaisten Komfort-Stühlen.

Der DFB-Tross, schon seit über einer Woche in Hamburg, hat jede Menge Anstrengungen unternommen, um Fans ins Stadion zu locken: Öffentliche Trainingseinheiten, Autogrammstunden sowie Schulbesuche der Nationalspielerinnen Lira Bajramaj und Melanie Behringer. Zusätzlich hat man Freikarten an Kinder verteilt, auch die Mitglieder örtlicher Fußballvereine sind vergünstigt ins Stadion gekommen.

Nicht entgehen lassen wollen sich das Spiel dagegen 120 Aktive der Frauen- und Mädchenabteilung des FC St. Pauli. Beim Treffpunkt vor dem Clubheim fehlen die B-Mädchen: Sie dürfen, als Ballmädchen, den heiligen Rasen sogar betreten.

„Ich erwarte ein relativ ausgeglichenes Spiel mit leichten Vorteilen für Schweden“, sagt Inga Schlegel, Spielführerin der ersten Mannschaft. „Mir geht der ganze Nationalkram zwar auf den Senkel“, ergänzt eine Mitspielerin. „Trotzdem sind Länderspiele sportlich immer etwas Besonderes. Ich möchte guten Fußball sehen, da blende ich das schwarz-rot-goldene Farbenmeer aus.“

Das fällt nicht schwer an diesem Abend: Die meisten ZuschauerInnen sind in Zivil gekommen. Wichtiger ist aber eine andere Frage. „Gibt’s heute eigentlich richtiges Bier, oder wird bei Frauenländerspielen nur Light-Bier ausgeschenkt?“, witzeln die St. Pauli-Frauen.

Bei den Heimspielen ihrer ersten Herrenmannschaft sitzen sie auf der Südtribüne oder der Gegengerade. Heute müssen sie einmal um das Stadion rum, auf die Nordtribüne. Deren schlichte Metallkonstruktion besitzt den Charme einer Messehalle, hat dafür aber einen Vorteil, den vor allem die Jüngeren schnell entdecken: Trampeln auf Metall-Stufen macht ohrenbetäubenden Lärm.

Der Funke springt trotzdem nicht richtig rüber. Bei den ersten Chancen und Torwartparaden steigt der Lärmpegel zwar vorübergehend, und irgendwo im halbvollen Stadion versucht immer eine Gruppe, „Deutschland, Deutschland“-Gesänge zu initiieren. Die verlaufen aber meist genauso im Sande wie die La Ola-Wellen. Großer Applaus brandet auf, als die Stadionsprecherin sich kurz nach der Halbzeit bei „12.183 Zuschauern“ bedankt: Nach den letzten Minus-Kulissen bei Länderspielen stimmt zumindest die Optik und erinnert ein wenig an die vergangene WM-Euphorie.

„Von St. Pauli-Spielen bin ich eine andere Stimmung gewohnt“, sagt Inga Schlegel. „Aber das Publikum ist ja so gemischt, da konnte man kein Feuerwerk erwarten.“ Die Landesliga-Spielerinnen des FC St. Pauli konzentrieren sich ohnehin mehr auf das Geschehen auf dem Platz.

Die erste Halbzeit bietet allerdings noch wenig Anschauungsmaterial für das eigene Spiel. „Bis zum Tor spielen die Deutschen ja ganz gut“, sagt Inga Schlegel. „Aber der letzte Pass kommt nicht an. Die Schwedinnen sind mit ihren wenigen Aktionen wesentlich gefährlicher.“ Es bleibt also Zeit, die eigene sportliche Situation zu reflektieren. „In der letzten Saison haben wir noch in der Verbandsliga gespielt“, sagt die Kapitänin. „Da wollen wir irgendwann wieder hin.“ RALF LORENZEN