: Das Bildungsbürgertum bleibt unter sich
HABITUS Die Herkunft spielt zunehmend wieder eine Rolle dabei, wer Professor wird – und wer nicht. Dass Aufsteiger seltener werden, erklärt Soziologin Christina Möller mit Unterschieden im sozialen Gespür
Soziale Aufsteiger werden immer seltener zu Professorinnen oder Professoren berufen. Das ist die zentrale Erkenntnis der Dissertation von Christina Möller. Die Soziologin an der Uni Paderborn untersuchte dafür die soziale Herkunft von Professorinnen und Professoren an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen. Ein Drittel von ihnen entstammt demnach einer hohen sozialen Herkunftsgruppe, ihre Eltern waren Angestellte und Beamte im höheren Dienst oder mittlere und größere Selbstständige, alle mit Hochschulabschluss. Nur 11 Prozent entstammen aus einem einfachen Angestellten- oder Arbeiterhaushalt.
Das entspricht bei Weitem nicht der Verteilung in der Bevölkerung: In der Zeit, als die heutigen Professoren Kinder und Jugendliche waren, zählte die Hälfte der Erwerbstätigen zu den Arbeitern. Schlechte Chancen also für soziale Aufsteiger. Möller erklärt dies in Anlehnung an den französischen Soziologen Pierre Bourdieu mit Unterschieden im Habitus. Über Bildungschancen und Karriere entscheidet demnach nicht nur Geld, sondern auch das „soziale Gespür“, das man braucht, um sich in höheren Bildungskreisen sicher zu bewegen. Das Bildungsbürgertum bleibt gern unter sich und erkennt soziale Aufsteiger routiniert.
Meritokratischer Mythos
Die Elitenforschung hat Muster dieser Art schon für Karrieren etwa in Justiz, Medizin und Wirtschaft nachgewiesen. Doch die Erkenntnis, dass die soziale Herkunft über die Berufung von Professoren entscheidet, will so gar nicht ins Selbstbild deutscher Universitäten passen. Die Unis sitzen, so Möller, dem „meritokratischen Mythos“ auf: dem Glauben, dass sich Berufungen nach der wissenschaftlichen Leistung der Kandidatinnen und Kandidaten richteten. „Doch dabei wird verkannt, dass das Leistungsvermögen auch von der Herkunft abhängt“, sagt Möller.
Die Tür zur Professur war schon einmal offener als heute. Zur Zeit der Bildungsexpansion ab Ende der 1960er Jahre war der Bedarf an Hochschullehrern so groß, dass es vermehrt auch soziale Aufsteiger auf die Lehrstühle schafften. In den letzten zwanzig Jahren hat sich diese Tür wieder ein gutes Stück geschlossen.
Möller stellte Unterschiede nach Fächern und Art der Professur fest. Auf gut dotierten C4-Professuren finden sich nur 11 Prozent Aufsteiger aus den unteren Herkunftsgruppen, während es bei den weniger beliebten außerplanmäßigen Professuren 17 Prozent sind. Und bei den Fächern gilt: Je größer ihre Nähe zu gesellschaftlicher Macht ist, desto selektiver geht es zu. Besonders schwer haben es soziale Aufsteiger in Jura und Medizin. Deutlich stärker sind sie in Sozialwissenschaften, Psychologie, Erziehungs- oder Ernährungswissenschaften vertreten. Faktoren wie Geschlecht und Migration verstärken diese Mechanismen noch. „Frauen und Migranten müssen häufig eine höhere soziale Herkunft aufweisen, um ihre Chancen zu erhöhen“, sagt Möller.
Ausgerechnet bei Juniorprofessuren haben soziale Aufsteiger besonders geringere Chancen – ein Rückschritt. „Juniorprofessuren sollen langfristig die Habilitation als Qualifikation zur Professur ersetzen“, sagt Möller. „Wenn ausgerechnet dieser Weg sozial geschlossener ist, sieht es in Zukunft für die soziale Gerechtigkeit noch trüber aus.“
MARTIN KALUZA
■ Christina Möller: „Herkunft zählt (fast) immer“. Verlag Beltz Juventa, 2015, 352 Seiten, 34,95 Euro