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Archiv-Artikel

Nichts für Jazzpolizisten

Dekonstruktion statt Vermischung. „The Bad Plus“ gelten als die lauteste, radikalste und frischeste Antwort auf das klassische Jazz-Klavier-Trio. Am Sonntag beendet die außergewöhnliche Band im Stellwerk ihre Europatournee

Eigentlich hätte es eine klassische Rockkarriere werden können. Kennengelernt haben sich David King und Reid Anderson schon als Teenager in Minneapolis, Minnesota – fern ab von den Zentren des Jazz, in einer Stadt, in der es noch echte Bands gab und nicht nur „Projekte“, wie sie heute betonen. Zunächst spielten die beiden zusammen in diversen Metal-Formationen. Dann jedoch begannen sie sich für Jazz zu interessieren. Ethan Iverson wiederum tat das schon länger. Im benachbarten Wisconsin hatte er sich unermüdlich und chronologisch durch die Jazzgeschichte gearbeitet, als er Ende der 80er schließlich auf Anderson traf. Musikalisch hatte es zwischen den beiden sofort gefunkt und ein Jahr darauf begannen King, Iverson und Anderson, als Trio erste Sessions zu spielen. Passiert ist nicht viel. Aber sie beschlossen, auch weiterhin zusammenzuarbeiten.

Ein Jahrzehnt sollte indes vergehen, bis sich die drei als „The Bad Plus“ wieder zusammenfanden. David King war mittlerweile in Los Angeles zum angesehenen Studiomusiker avanciert, Reid Anderson hatte sich in der New Yorker Jazzszene einen Namen gemacht und Ethan Iverson verdingte sich als musikalischer Leiter der „Mark Morris Dance Group“.

2001 alarmierte das gereifte Trio dann mit seinem auf dem spanischen Indie-Label „Fresh Sound“ veröffentlichten Debüt die Jazzpolizei. Statt Interpretationen von Jazz-Standards haben die drei sich nämlich über die Rock- und Pop-Geschichte hergemacht. „Nirvana“s „Smells like teen spirit“ und „ABBA“s „Knowing Me Knowing You“ erklingen auf „Motel“ derart gekonnt und innovativ in die Sprache des Jazz übersetzt, dass alle Nicht-Puristen aufhorchten. Schnell war von den einen die Rede von den „Foo Fighters des Jazz“ zu vernehmen, andere erklärten den Tiefschlaf des US-amerikanischen Jazz für beendet und berichteten von einem kollektiven Sound, der den gestandenen Jazz-Fan das Fürchten lehrte: laut, radikal und frisch.

Doch nicht nur Aphex Twin, „Pearl Jam“, Tom Waits, „Led Zeppelin“, „Queen“ oder Björk werden fortan durch den Jazztransformator des Trios gejagt. Auch in Eigenkompositionen zeigen „The Bad Plus“ eine erfrischende Vielseitigkeit: ob in der intellektuell-komplexen Variante der Stücke des Pianisten Ethan Iverson, den melodischen Romanzen des Bassisten Reid Anderson oder in den surreal-rhythmischen Ausflügen von Schlagzeuger David King.

Nicht die „Verschmelzung“ verschiedener Einflüsse hat sich das Trio dabei auf die Fahnen geschrieben, sondern deren „Dekonstruktion“: Keine neuen Barrieren zu errichten, sondern sich dem Stoff „völlig“ frei von Vorurteilen zu nähern, lautet die Devise. Womit die drei eben doch „sehr in der Jazztradition verhaftet“ bleiben, wie sie in einem Interview zu bedenken geben.

Mit „Prog“ stellt das außergewöhnliche Trio nun am Sonntag sein fünftes Studio-Album vor. Der Name ist dabei in zweierlei Hinsicht Programm. Nicht nur, weil sich das Trio diesmal mit David Bowies „Life on Mars?“, „Tears for Fears“’ „Everybody Wants To Rule The World“ und „Rush“s „Tom Saywer“ unter anderem drei Klassiker des Prog-Rock vorgeknüpft hat. Sondern auch, weil es wieder einen ordentlichen Schritt vorangeht: Etwa auf dem Weg, dem Jazz das Stigma des Elitären zu nehmen.

ROBERT MATTHIES

So, 21. 10., 20 Uhr, Jazzclub im Stellwerk, Hannoversche Straße 85