Was reimt sich auf „Niedersachsen“?

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat nun einen Wahlkampfsong: „Komm mit ins Zukunftsland“ heißt das gute Stück und läuft ab heute überall. Wenn die niedersächsische CDU nun zur Spaß-Partei wird: Auf welches Niveau muss sich der Rest der Welt einstellen?

Vers1 Wenn wir hoffnungsfrohe Kinderaugen sehn Ist es die Zukunft, die wir fühl’n Für das Land, in dem du zu Hause bist

Vers2 Wo man weltoffen mit vereinter Kraft Eine moderne Zukunft schafft Für das Land, das unser Zuhause ist

Bridge1 Hier sind wir daheim, hier gehör’n wir hin (vom Harz bis zum Nordseestrand) Weil wir alle gemeinsam Niedersachsen sind

Chorus Komm mit ins Zukunftsland Es liegt in deiner Hand In Niedersachsen hier in Niedersachsen Komm mit ins Zukunftsland Mit Herz und mit Verstand Wird die Zukunft wachsen bei uns in Niedersachsen

Vers3 Land und Städte sind schön und weit Die Menschen stolz und zukunftsbereit Uns’re Kraft ist unser Eigensinn

Bridge2 Hier schlägt unser Herz, hier gehör’n wir hin (sturmfest und erdverwachsen) Weil wir alle gemeinsam Niedersachsen sind

C-Teil Gemeinsam bewegen wir unser Land Für Niedersachsen zusammen Hand in Hand

Adlib Charaktervoll und unbequem Unverwechselbar und wunderschön

M: Oliver Kels; T: Peter Philipp

von Jessica Riccò

Im Zuge der Wahlkampfrüstung hat sich die CDU um Christian Wulff dazu hinreissen lassen, ihrem Bundesland ein nigelnagelneues Niedersachsenlied auf den Leib zu schreiben.

Das ist praktisch, den einerseits versteht im „Lied der Niedersachsen“ sowieso kein Schulkind mehr die letzte Zeile (sie lautet „Heil Herzog Widukind Stamm“) und andererseits ist der letzte Popsong der CDU nun auch schon fast zehn Jahre alt und damit raus aus den Charts. Außerdem war der Vorgänger „Welcome today, welcome tomorrow“ noch auf Englisch. Es braucht keine gewieften Marktforscher um zu erraten, dass die sich im Alter 60+ ballende Wählerschaft auf deutsche Texte Wert legt.

„Die Zukunft wird wachsen, bei uns in Niedersachsen,“ heißt es etwas holperig im Refrain. Zugegeben: Auf „Niedersachsen“ lässt es sich schwer reimen, man muss sich ja nur mal Rainald Grebe anschauen (“In Brandenburg/ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt“) oder drei Minuten darüber nachdenken, wie viele Zeilen gut hinter „Thüringen“ klingen. Problem: Auf „Niedersachsen“ reimt sich überhaupt nichts anderes, „erwachsen, entwachsen, gewachsen“ zählen nämlich nicht. Wie würde das auch klingen.

Weg vom braven Schwiegersohnimage sollte es Christian Wulff bringen, die jungen Leute sollen ihn schließlich auch wählen. Seit kurzem läuft auf seiner Homepage nun schon Wulff-TV, eine besonders volksnahe Doku-Soap aus dem Alltag eines Ministerpräsidenten, nun beweist er, dass CDU auch Pop und Spaß und gute Laune ist.

Ob der neue Hit „Zukunftsland“ was taugt, fragte die taz bei einem Musikproduzenten nach, der sich besser mit Popsongs auskennt. Aus Gründen der Nestbeschmutzung, bleibt er jedoch lieber ungenannt. Gefallen habe ihm „Zukunftsland“ nicht. „Der Song ist zwar musikalisch arm, aber daran lag meine Abscheu noch nicht einmal,“ meint der Experte. Politische Inhalte mit Musik transportieren zu wollen, das gehöre sich einfach nicht. Auch wenn Produzent Oliver Kels sich bisher von der Verwurstung des Ballets „La Gioconda“ für den Kuchenhersteller Coppenrath&Wiese bis „Gutfried ist gut für dich, oooh ja“ für nichts zu schade gewesen sei – einen solchen Fehltritt hätte er ihm nicht zugetraut. Nicht zuletzt wohl auch, da Oliver Kels vor ein paar Jahren noch der Konkurrenz SPD die Werbung musikalisch untermalte.

Abschließend bewertet er die neue Hymne als „uninteressant und unoriginell“. Ein besserer Song habe sich aber bereits durch die Aufgabenstellung verboten. Nun erinnere das Lied bereits im Titel an „Abenteuerland“ von Pur.

Nix da mit Abkupferei, seitens der CDU heißt es per Pressemitteilung, der Produzent habe sich schlicht „von Christian Wulff und seiner erfolgreichen Politik zu einem bewegenden neuen Niedersachsen-Song inspirieren lassen“.

Gesungen wird der Kracher von „Joyello und Maria Luisa Campobasso“, einer gruseligen Wiedergeburt von Al Bano und Romina Power, nur viel schlimmer. Vielleicht hielt man es für passend, die Autostadt-Wolfsburg-Italiener an der Gastarbeiterwurzel zu packen, vielleicht haben italienisch klingende Namen einfach mehr Pepp im Blut als sie „Chrischan Junghans und Frauke Buck“ je haben könnten. Partnerin Maria, die sich mittlerweile in „Mary LC“ umtaufte, sang bereits mit ihm in einer Coverband für Italo-Pop, und ein bisschen erinnert der seichte Synthesizer auch an diese schwarze Phase der Musikindustrie.

„Joyello“, der sich selbst als „süßeste Versuchung seit es Italiener gibt“ bezeichnet, betörte offenbar genügend, um nunmehr als neues, buntes, menschgewordenes Maskottchen über Niedersachsens Wahlkampfbühnen zu tingeln. Und wieder werden sie dort auf dem „Zukunftsland“ Niedersachsen rumreiten. Mit all seinen Innovationen und Tiefseehäfen und Forschungsflughäfen.

„Neiiin,“ wird dann der ein oder andere zufällig vorbeischlendernde Wähler denken, und das nicht nur wegen der zehennagelhochbiegenden Melodie. Sondern vor allem, da die Zahlen, was Niedersachsens wirtschaftliche Entwicklung betrifft, genau das Gegenteil behaupten. Sorry Jungs, aber nach Angaben des Landesamts für Statistik sinken nun mal die Zahlen der Patentanmeldungen, Niedersachsen verschuldet sich weiter und es gilt eher das Licht am Ende des Tunnels zu suchen, denn weitere hanebüchene Zukunftspläne zu schmieden.

A propos: Als wollte man vermehrte Abwanderung unterbinden, heißt es nach jeder Strophe „Hier gehören wir hin“. Nicht, dass jemand „Komm mit ins Zukunftsland“ missversteht, man solle nun gemeinsam nach Norwegen, Südtirol oder in sonstwelche pulsierende Regionen ziehen.

Ab heute gibt es „Zukunftsland“ zu hören: Im Radio, an Wahlkampfständen, als Ohrwurm. Und wer gar nicht genug kriegen kann, der kauft sich die CD. Darauf findet sich auch eine Karaokeversion – vielleicht will der ein oder andere Niedersachse ja einen neuen Text schreiben.