: Keine Kohle für Großbritannien
ENERGIE Das Mutterland des Industrialismus will aus dem schmutzigen Energieträger aussteigen. Aber wie ernst ist das gemeint, wenn sogar der Pensionsfonds des Unterhauses in fossile Brennstoffe investiert?
DUBLIN taz | Großbritannien geht mit gutem Beispiel voran. Die Chefs der drei großen Parteien haben angekündigt, aus der Verstromung von Kohle auszusteigen. Das sorgt für Aufregung – auch weil davon die Altersversorgung der Abgeordneten betroffen wäre: Der über Steuergelder finanzierte Pensionsfonds des Unterhauses in Höhe von 487 Millionen Pfund (rund 658 Millionen Euro) hat erheblich in fossile Brennstoffe investiert.
Premier David Cameron, sein Stellvertreter Nick Clegg und Labour-Chef Ed Miliband wollen Kohle dennoch verbannen. Sie verpflichteten sich, auf dem UN-Klimagipfel im Dezember in Paris auf ein „faires, bedeutendes, rechtlich verbindliches Klimaabkommen zu drängen, das die Erderwärmung auf unter 2 Grad limitiert“.
Aber Großbritannien ohne Kohle? Das wäre ein Bruch mit der Geschichte. Wurde die hier doch bereits zu Zeiten der Römer gefördert. Mit der Industriellen Revolution begann der Abbau im großen Stil. Um 1800 wurden rund 10 Millionen Tonnen produziert, hundert Jahre später schon 250 Millionen Tonnen. Zu Blütezeiten waren mehr als eine Million Menschen in der Kohleindustrie beschäftigt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg machten ihr aber Billigimporte Konkurrenz. Und Margaret Thatcher gab ihr den Rest. Die damalige Premierministerin war fest entschlossen, die Macht der Bergarbeitergewerkschaften zu brechen. 1985 mussten die Kumpels ihren einjährigen Streik abbrechen. Danach wurden viele Bergwerke geschlossen, heute gibt es nur noch drei, und zwei davon sollen bis Jahresende dichtgemacht werden. Dennoch ist Kohle mit rund 40 Prozent wichtigster Teil des Energiemixes, dicht gefolgt von Erdgas. Öl deckt nur 1,5 Prozent des Strombedarfs, erneuerbare Energien rund 8 Prozent. Langfristig setzt Großbritannien aber auf Atomkraft, die bisher gut 17 Prozent des Strombedarfs deckt.
Wann und wie der Kohleausstieg erfolgt, steht noch nicht fest. Gerade entsteht im nordenglischen Selby ein neues Kohlekraftwerk. 90 Prozent seiner CO2-Emissionen sollen aufgefangen und durch ein Rohrsystem an einen Speicherplatz unter dem Boden der Nordsee geleitet werden, zwei Millionen Tonnen im Jahr. Deshalb fördert die Europäische Union das Projekt mit 300 Millionen Euro.
Aber grundsätzlich haben Investitionen in Kohle und überhaupt in fossile Träger keine Perspektive mehr, heißt es bei der Weltbank. Kohle-, Öl- und Gasindustrie verfügten über dreimal mehr Brennstoffe, als genutzt werden können, wenn man die globale Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts auf unter 2 Grad begrenzen will.
Wohlbedacht hatten die Parteichefs den Ausstieg aus der Kohle am Valentinstag verkündet, den die Organisation Fossil Free in diesem Jahr zum weltweiten Aktionstag ausgerufen hatte. Verwaltungen, Banken und Pensionsfonds sollen davon überzeugt werden, Anlagen aus Industrien abzuziehen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten – „Divestment“ ist der Kampfbegriff. In Großbritannien investierten HSBC, Barclays, Lloyds, Santander und die Royal Bank of Scotland 2012 66 Milliarden Pfund in fossile Energie. Rund 1.400 Menschen lösten am Samstag ihre dortigen Konten auf.
Der Pensionsfonds der Unterhaus-Abgeordneten denkt allerdings nicht daran, seine Politik zu überdenken. Der Vorsitzende der Treuhändergesellschaft, Labour-Mann Brian Donohoe, sagte, unter den Abgeordneten gebe es bei moralischen Investitionen zu viele unterschiedliche Ansichten. Kritiker warfen ihm vor, die ökonomischen Dimensionen nicht zu kapieren und damit die Sicherheit des Fonds zu riskieren. RALF SOTSCHECK