: MUSIK
THOMAS MAUCH
Momentan ist Halberstadt musikalisch ein wenig aus dem Blickpunkt gerutscht – obwohl dort schon weiterhin sehr getragene Orgeltöne zu hören sind in der Sankt-Burchardi-Kirche, wo gerade ein kleines Werk von John Cage aufgeführt wird, nämlich „Organ2/ASLSP“. Das macht man dort immerhin bereits seit 2001, und dauern wird die Angelegenheit noch bis etwa ins Jahr 2640 hinein, weil man in Halberstadt Cages Spielanleitung ASLSP – as slow as possible – recht streng auslegt. Der nächste Klangwechsel bei dem Stücklein ist so am 5. September 2020 zu erwarten, und spätestens dann wird die musikalische Welt auch wieder gebannt auf Halberstadt hören, dessen Extremmusikveranstaltung ja letztlich nur ein ziemlich in die Länge getriebener Beweis dafür ist, dass die Aufführung der sogenannten klassischen Musik halt eine Interpretationsfrage ist. Das gilt durchaus auch bei Standardwerken wie etwa der Fünften von Beethoven, die man in Tonaufnahmen eher getragen hören kann, von Carlos Kleiber mit den Wiener Philharmonikern etwa, der für die Fünfte mal ganze 33 Minuten brauchte, während sie der Karajan mit den Berliner Philharmonikern in einer anderen Aufnahme mit etwas mehr als 29 Minuten doch regelrecht durchpeitschte. Beim „Canto Ostinato“ des niederländischen Komponisten Simeon ten Holt aus den Siebzigern wiederum ist der Interpretationsspielraum schon deswegen mächtig ausgeweitet, weil die Aufführenden selbst entscheiden dürfen, wie oft sie die einzelnen Klangbausteine des Stücks wiederholen wollen. Was sich dann entscheidend auf die Spieldauer dieser Komposition auswirkt, die im Sound Neoromantisches in sich trägt und die sich der Struktur nach mehr an einer Minimal Music wie der vom Greenaway-Komponisten Michael Nyman orientiert. Heute am Donnerstag ist der „Canto Ostinato“ in einer Fassung für zwei Klaviere im Heimathafen zu hören (Karl-Marx-Str. 141. 20 Uhr, 23 €).
Die wöchentliche Dosis Sechziger kommt mit The Youth aus Dänemark, die nach ganz frühen Kinks und damit nach einer ungestümen Raubeinigkeit klingen, am Freitag im Bassy (Schönhauser Allee 176a, 22 Uhr). Und die schon mal als „Nashville wunderkids“ bezeichneten The Paperhead tragen musikalisch derart bunte Hemden mit einer melodischen Durchtriebenheit, dass man diesen Liedern einfach sofort Asyl auf „The Piper at the Gates of Dawn“ anbieten will, dem Albumdebüt dunnemals von Pink Floyd, weil die Gegenwart mit so einer beherzten Psychedelic möglicherweise doch überfordert ist. Check it out, am Samstag im West Germany (Skalitzer Str. 133, 22 Uhr).
Retro? Kann man so hören! Oder halt einfach nur gut neu erfunden.