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Archiv-Artikel

Integration läuft am besten im Bett

MIGRATION Trotz Sarrazin läuft es nicht so schlecht, stellen Experten auf einer Podiumsdiskussion fest

„Integration wird nie zu Ende gehen“

LALE AKGÜN, SPD

Thilo Sarrazin, wer war das noch mal? Eigentlich ist dieser Mann völlig irrelevant, seine rassistischen Unterscheidungen von „uns“ und „den anderen“ sind so was von gestern – und im Großen und Ganzen läuft es ganz gut mit der „Integration“. So in etwa lautet das Fazit der Veranstaltung „We love to integrate you – Wo stehen wir nach Sarrazin?“ am Montagabend in der Bundeszentrale für politische Bildung in der Friedrichstraße. Dort diskutierten drei Menschen, die es nicht nur qua Berufung wissen müssen, sondern auch aus eigener Lebenserfahrung als „Migranten“: die SPD-Politikerin und Psychologin Lale Akgün, der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad und der Psychologe und Leiter des Zentrums für Türkeistudien, Haci-Halil Uslucan.

Sie kamen zu dem hoffnungsvollen Schluss: Mit der homogenen Gesellschaft der „reinrassigen“ Deutschen ist es vorbei, Multikulti ist Realität und wird in Zukunft noch realer. Wir müssen jetzt nur endlich allen die gleichen Chancen geben, an dieser Zukunft mitzuarbeiten. Oder, um das schöne Schlusswort von Akgün vorwegzunehmen: „Es gibt keine bessere Integration, als einen Türken im Bett zu haben – oder einen Deutschen.“

Und so ist die viel diskutierte und auch an diesem Abend gestellte Frage „Wie weit sind wir denn in der Integration?“ schon falsch gestellt, bürstet die SPDlerin den Moderator ab. Denn: „Was heißt das? Integration wird nie zu Ende gehen.“ Zum einen, weil immer wieder neue Migranten kommen und „in Zukunft noch mehr“. Zum anderen, so Akgün, weil es immer die ganze Bandbreite gebe von völlig assimiliert bis total segregiert.

In diese Bresche schlägt auch Uslucan: „Man kann nicht generell sagen, was gut integriert ist.“ Es gebe Bereiche, wo es gut läuft – und andere, wo nicht. Viele der gescholtenen Gemüseverkäufer etwa seien ökonomisch sehr gut integriert – sozial dagegen nicht. „Sie haben zum Beispiel keine deutschen Freunde.“ Viele jüngere dagegen seien sozial sehr gut integriert, bekämen aber ökonomisch kein Bein auf die Erde – etwa weil sie trotz Studium wegen ihres Namens bei Bewerbungen diskriminiert werden.

Überhaupt hänge die Frage, was man unter „gelungener Integration“ versteht, sehr davon ab, wie sich eine Gesellschaft definiert, sagt Abdel-Samad: In Nordamerika etwa sei die Gesellschaft „auf Experimentieren aufgebaut, hier dagegen auf Bewahrung dessen, was war“. So rege sich in den USA keiner über die „Little Chinatowns“ und „Little Italys“ auf, ergänzt Uslucan. „Aber wenn in Neukölln drei Straßen in arabischer Hand sind, ist das ein Skandalon!“ Dagegen helfe letztlich nur eine Neudefinition des Deutschseins, sagt Akgün – die sie sich von der Demografie erhoffe. Deutsch werde irgendwann nicht mehr nach Blut und Herkunft definiert, sondern danach, wer sich in die Gesellschaft einbringt.

An einem Punkt der Debatte gab es dann aber doch einen Dissens, bei der Frage nämlich, wie groß der Anteil der „Integrationstotalverweigerer“ ist. Uslucan schätzt ihn auf „gerade mal 2 bis 3 Prozent“, eine Zahl, die in jeder Statistik auch als Fehlerquote durchgehe. Da widerspricht der im Publikum sitzende Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), der vom Moderator zu einer Stellungnahme genötigt wird. „Das ist nicht die Erfahrung von Neuköllner Lehrern.“

Auch Abdel-Samad hält diese Gruppe durchaus für relevant. Das Problem sei aber nicht nur diese kleine Migrantenunterschicht. Abschottung gebe es auch am anderen – elitären – Ende der Gesellschaft: In der deutschen Oberschicht, die ihren Nachwuchs auf konfessionelle Gymnasien schickt, um ihm den Kontakt mit dem Migrantenpöbel zu ersparen. „Beide Gruppen sind in Zukunft die Verlierer, weil sie nicht interkulturell geschult sind“, sagt er.

Mit der homogenen Gesellschaft der „reinrassigen“ Deutschen ist es vorbei

Zu den Millionen Menschen, die in der heterogenen Realität angekommen sind und mit ihr sehr gut zurechtkommen, gehören die SchülerInnen und jungen Erwachsenen, die den Abend mit Auszügen aus ihrem Theaterstück „Clash“ auflockern. Es ist ein Stück, „in dem wir die Thesen Sarrazins zu Ende denken. Was passiert, wenn die Muslime zur Mehrheit werden und anfangen, die Deutschen zu integrieren“, erklärt Victor Warno, einer der Schauspieler. Dieses Szenario, entwickelt als Projekt des Jungen Deutschen Theaters, kann nur im Wahnsinn respektive auf einer Art Planet der Affen enden. Aber das war ja eh klar.

SUSANNE GANNOTT

■ „Clash“, 9. November, DT, 20 Uhr