„Bloß keine schlechte Performance!“

Sie gelten immer noch als Exotinnen, und in Polen, Frankreich und der Türkei gibt es deutlich mehr: Rund 200 Physikerinnen kommen von heute bis Sonntag an der Universität Osnabrück zur „11. Deutschen Physikerinnentagung“ zusammen. Um zu fachsimpeln und jungen Frauen Mut zu machen

MAY-BRITT KALLENRODE, 45, ist seit 1999 Professorin für die Modellierung solarterrestrischer Beziehungen an der Uni Osnabrück.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Kallenrode, warum erschaffen Sie mit ihrem Kongress ein weiteres Getto für Frauen? Brauchen die pragmatischen Naturwissenschaftlerinnen so etwas?

May-Britt Kallenrode: Genau diese Wahrnehmung ist auch unser Problem. Denn wir wollen auf keinen Fall als Kaffeekränzchen verstanden werden, und deshalb hat unsere Tagung mehrere Standbeine: einerseits deckt sie durch Fachvorträge das gesamte Spektrum der Physik ab. Darin liegt kein grundlegender Unterschied zu einer konventionellen Physikertagung, wobei letztere allerdings meistens einem speziellen Gebiet gewidmet sind. Darüber hinaus wollen wir um Nachwuchs werben. Wir bieten deshalb auch ein Schülerinnenprogramm an. Außerdem wollen wir Networking betreiben. Unsere Veranstaltung versteht sich aber nicht als Konkurrenz zur Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Unsere Tagung ist ein Zusatzangebot, das bewusst auch die Randbereiche wie Bio-, medizinische und Umweltphysik in den Blick nimmt. Denn dort ist der Frauenanteil sehr hoch.

Warum ist das so?

Negativ formuliert gehen Frauen nicht in die Hit-Bereiche wie die Nanophysik, weil die männliche Konkurrenz dort so groß ist. Die positive Deutung: Die Bio- und Umweltphysik befasst sich mit komplexen Prozessen, die man nicht mal so eben per Labor-Experiment ergründen kann. Man braucht vielmehr Ausdauer, muss oft mit unvollständigen Informationen umgehen und hat keine schnellen Erfolge. Männer schreckt das ab, während Frauen bereit sind, sich solchen Mühen zu unterziehen.

Es klingt aber auch nach Flucht. Ist die weibliche Lobby in der Physik so schwach, dass das nötig ist?

Wir wollen keine Lobby, sondern als Wissenschaftlerinnen wahrgenommen werden. Leider sind Frauen aber oft wesentlich zurückhaltender als Männer. Präsentieren sich nicht so geschickt. Und um genau diese Sichtbarkeit zu befördern, organisieren wir unsere Tagung. Außerdem wollen wir an Physik interessierten Schülerinnen ein Rollenmodell bieten.

Ist das wirklich nötig?

Ja. Denn Schülerinnen erleben – im Physikunterricht und in Wissenschaftssendungen – fast immer, dass Mann da vorn steht, vorführt und erklärt. Wir wollen ihnen zeigen, dass es ganz normal ist, Physikerin zu sein. Die meisten Menschen können sich hierzulande eine Physikerin einfach nicht vorstellen. Als ich zum Beispiel anfing Physik zu studieren, habe ich immer gesagt, dass ich Lehrerin werden will. Das konnten sie so gerade noch akzeptieren. Und dachten vielleicht insgeheim: Vielleicht fällt ihr im Lauf des Lebens noch was anderes ein. Vielleicht bessert sie sich noch.

Wie viel Prozent Physikerinnen gibt es denn zurzeit an deutschen Unis?

Knapp 20 Prozent der Physik-Studenten sind derzeit weiblich, und fünf Prozent der Professoren. Da muss man natürlich die Generationsverschiebung einrechnen. Ich gehöre zur jüngeren Professorengeneration, und als ich studierte, waren wir zehn Prozent Frauen. Wenn die heutigen Jahrgänge fertig sind, wird sich vielleicht auch der Professorinnenanteil erhöhen. Bei den Habilitationen gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede: Sieben Prozent eines Jahrgangs habilitieren sich – Männer wie Frauen. Der Einbruch geschieht eher beim Übergang vom Diplom zur Promotion: Das tun 40 bis 45 Prozent der Männer, aber nur 25 Prozent der Frauen.

Liegt das an der Kinderphase?

Ich befürchte es fast ein bisschen. Denn nach dem Diplom stellt sich erneut die Frage, wie Kind und Karriere zu vereinbaren sind. Und das Risiko, dass eine Frau dann in die Wirtschaft geht, wo sie Kind und Karriere eher vereinbaren kann als promovierend an der Uni, ist sehr hoch. Dieses Problem diskutierten wir während unserer Tagung unter dem Titel „Rush Hour des Lebens – Kind und Karriere“. Wir werden Physikerinnen vorstellen, die in verschiedenen Karrierephasen Kinder bekommen haben: als Studentin, in der Habilitationsphase. Wir wollen vermitteln: Es geht irgendwie. Es gibt diese Perspektive.

Ist diese Kombination in Deutschland besonders schwer zu leben?

Tatsächlich ist der Anteil an Frauen in der Physik in anderen Ländern größer, und ich vermute, dass die Abschreckung hierzulande schon früh einsetzt. Sonst wäre der Frauenanteil nicht schon unter den Studentinnen so gering. Denn sogar Länder, die wir in puncto Gleichberechtigung als rückständig betrachten, haben einen höheren Physikerinnenanteil als wir. Neben dem gesamten ehemaligen Ostblock und Frankreich ist das die Türkei. In Deutschland steht man Naturwissenschaft und Technik dagegen eher distanziert gegenüber.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft berherbergt auch einen Arbeitskreis Chancengleichheit. Was hat der bisher bewirkt?

Er erstellt einerseits für die Argumentation wichtige Statistiken. Andererseits ist er ein bedeutendes Networking-Instrument. Abgesehen davon hat sich der Arbeitskreis mit dem hierzulande kaum diskutierten Problem der „double career couples“ befasst. Die Statistik zeigt nämlich, dass nur neun Prozent der männlichen Physiker eine Akademikerin als Partnerin haben. Aber 70 bis 80 Prozent der Physikerinnen sind mit einem Akademiker liiert.

Wieso eigentlich?

Welcher Mann nimmt schon eine Frau, zu der er aufschauen muss?

Welche Folgen hat das?

Frauen sind stärker davon betroffen, dass beide Partner eine Stelle finden müssen, die man nicht in jedem Ort findet. Denn wenn ein Physik-Professor mit einer Partnerin umzieht, die als Sekretärin oder Technikerin arbeitet, gibt es in jeder größeren Stadt eine Menge Arbeitsangebote. Wenn eine Physik-Professorin aber mit einem Partner umziehen möchte, der auch Dozent ist: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zeitgleich zwei passende Stellenangebote an der selben Uni finden? In den USA wird dieses Problem schon länger diskutiert, und etliche Betriebe bemühen sich, auch dem Partner ein Arbeitsangebot zu machen. In Deutschland ist das bislang kaum im Gespräch.

Haben Physikerinnen denn auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen wie Physiker?

Ich denke schon. Dass mal in einem einzelnen Verfahren merkwürdige Dinge passieren, kann man natürlich nicht ausschließen. Ich war zu Beginn meiner Karriere zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, bei dem man mir sagte, dass ich nur auf Wunsch der Frauenbeauftragten da sei. Ich dachte: Schön, dass ihr so ehrlich seid! Eine gute Gelegenheit, für den Ernstfall zu üben. Außerdem tue ich euch nicht den Gefallen, eine schlechte Performance abzuliefern!