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Archiv-Artikel

Big Data aus der Mülltonne

RESSOURCEN Eine Firma aus Finnland rüstet weltweit Abfallbehälter mit intelligenten Sensoren aus. Entsorger vermeiden so unnötige Anfahrten

BERLIN taz | Das Internet der Dinge ist im öffentlichen Raum angekommen. Der Kühlschrank bestellt Bier nach, die leeren Flaschen werden in den Flaschencontainer gebracht, und der meldet sich dann beim Abholer. Das macht eine finnische Firma möglich, die einen Sensor in Größe eines Eishockeypucks entwickelt hat, der in Abfallbehältern installiert wird. Der Infrarotsensor gibt unter anderem aktiv per SMS den Füllstand an. So wird eine Überfüllung verhindert und die Tonne nur dann geleert, wenn es sich lohnt. Unnötiges Anfahren wird vermieden. Das verringert Kraftstoffverbrauch – und somit Kohlendioxid-Emissionen – sowie Arbeitsaufwand, Verkehrsaufkommen und -lärm. Die Einsparung bei der Abfalllogistik beläuft sich laut Angaben des Herstellers Enevo auf rund 40 Prozent.

Der Sensor gibt auch Auskunft über Temperatur und die Qualität der Internetverbindung. Die Temperatur des Mülls kann gerade im Sommer ein interessantes Kriterium für eine möglichst baldige Leerung sein. Der Sensor kann in Recyclingtonnen für Glas-, Papier-, Textilien- und Elektroschrott- oder Biocontainern und bei Gemischtmüll eingesetzt werden.

Hauptkunden sind industrielle, kommerzielle und öffentliche Abfallentsorger, die jeweils einen monatlichen Betrag an den Betreiber zahlen. Das Gerät kann aber auch im privaten Bereich eingesetzt werden. Zurzeit sitzen die meisten Kunden noch in Europa, vor allem in Skandinavien, aber auch in Boston und New York.

Noch sind solche Systeme nur für Länder mit einem entwickelten Müll- und Recyclingmanagement interessant. Aber Firmengründer Fredrik Kekäläinen sieht auch in den indischen Megastädten großes Potenzial. Enevo strebt 2015 eine Verdoppelung der jetzigen 200 Kommunen und privaten Großkunden in über 30 Ländern an. Der Sensor wird in Deutschland seit einem Jahr von German EcoTec (GET) vertrieben, in Finnland gibt es das Produkt seit 2013. Kunden in Deutschland sind zurzeit 20 Städte und Kommunen sowie zwölf private Entsorger, sagt GET-Geschäftsführer Andreas Rochlitz.

„Füllstandsensoren sind nichts Neues auf dem Markt. Innovativ sei die Intelligenz im Netz“, sagt Rochlitz. Das Herzstück des Systems: der Enevo-Server samt Routenplanungssoftware. Errechnet werden die nächste Leerung und optimierte Abholrouten, die einbeziehen, wo sich die Fahrzeuge gerade befinden. So kann laut Enevo das Müllaufkommen der nächsten 30 Tage prognostiziert werden. Und je größer die Datenmenge, desto genauer die Vorhersagen: Big Data im Müllgeschäft.

Der Sensor funktioniert ähnlich wie ein Infrarotgerät zum Auffinden von Fischschwärmen. Analog dazu macht der Sensor nicht am Rand der Tonne halt, sondern nimmt auch Bewegungen in der Umgebung war. Will man von einer Mülltonne beim Spazierengehen bemerkt werden? Das ist nicht das einzige Problem, das sich im Zusammenhang mit der Datenerhebung stellt. Enevo träumt von weiteren Geschäftsfeldern, bei denen es um die Erkennung von Trends im Müllmanagement, aber auch um den Weiterverkauf von Daten geht. Auch sind die in den Sensoren verbauten SIM-Karten – spätestens seit dem NSA-Skandal – nicht mehr sicher.

Joachim Wuttke, Abfallexperte im Umweltbundesamt, befürchtet in Zukunft denn auch ein gläsernes Verbraucherverhalten durch Analyse der Art und Zusammensetzung des Abfalls. Abgesehen von einer möglichst effizienten Entsorgungstechnologie fordert er, mehr Augenmerk auf die Müllvermeidung zu legen.

Ronald Philipp vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) sagt, dass von den in seinem Verband organisierten Unternehmen bei Privatkunden nur passive Transponder eingesetzt werden. 75 Prozent der Tonnen seien mit diesen Chips ausgestattet, die lediglich 50 Cent kosten und nur dann Informationen übermitteln, wenn die Tonne „fast direkten Kontakt“ zum Abholungsfahrzeug hat.

Die passiven Transponder verbrauchen keine Energie und sind annähernd wartungsfrei. Übertragen werden lediglich folgende Informationen: „Ich bin eine Biotonne“, letzte Leerung/Leerungsintervall, Gewicht und eventuell der Besitzer. Philipp sieht keine „unmittelbare Notwendigkeit für die Einführung aktiver Transpondersysteme“. Auch er äußert Datenschutzbedenken beim Einsatz aktiver Sensoren. PATRICK LoEWENSTEIN