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Archiv-Artikel

Es ist echt zu bitter

„ENDLICH“: DAS JOURNAL

Das neue taz-Journal „Endlich. Tod – kein Tabu mehr“ ist da. Die Themen u. a.: Warum spricht die Bundesregierung von „Bündnispflicht“ und nicht von Töten und Sterben, wenn sie die Bundeswehr-Soldaten in den Krieg nach Afghanistan schickt? Warum muss die Mutter ohnmächtig zuschauen, wie ihr unheilbar krebskranker Sohn verhungert – nur weil es in Deutschland keine Sterbehilfe gibt? Wer hilft den Eltern, wenn sie über den Tod ihres noch ungeborenen Kindes entscheiden sollen? Und Kabarettist Josef Hader über die Frage: Ist Witz eine Waffe gegen Tod?

Das neue taz-Journal hat 96 Seiten und kostet 7 Euro. Sie können es auf der Homepage www.taz.de/endlich oder per Mail unter tazshop@taz.de, per Telefon unter (0 30) 2 59 02-1 38 oder per Fax unter (0 30) 2 59 02-5 64 bestellen.

Zuvor sind erschienen: „Logisch. Wie wir alle besser leben“; „Es ist Liebe. Liebeserklärungen an die 32 Teams der Fußball-WM“; „Dutschke und Du. Verändern, kämpfen, leben: Was wir von Rudi Dutschke lernen können“.

Ein Journal über den Tod. Babys im Skelett-Strampler. Fotos einer verwesenden Leiche. Ist das nicht zu viel? Das Making Of des neuen taz-Journals „Endlich“

Thilo Knott, Herausgeber: „Irgendwann fiel mir dieses Buch in die Hände: ‚Es ist echt zu bitter‘, heißt es. Todesanzeigen gesammelt und kommentiert von Hans Mader. Einem Pastor aus Ratzeburg. Ich las Freunden daraus vor. Zum Beispiel, was Meike zum Tod ihrer Freundin Sabine schrieb: ‚Wir haben oft aneinander vorbeigeredet, aber ich glaube, dass wir uns irgendwann trotzdem viel zu sagen haben.‘ Sehr komisch. Oder Heini zum Tod von Rita: ‚Der Tod ist barmherziger als deine Unbarmherzigkeit.‘ Wir hatten viel Spaß. Wir mussten viel lachen. Das waren Abgründe. Gesellschaftliche Abgründe. Weil in diesen Todesanzeigen alles drinsteckt: Verzweiflung, Hass, Witz, Trauer, Ohnmacht, Verdrängung – und Tabus. Das Buch war – aus genau diesem Grund – einer der Anstöße, das Journal ‚Endlich. Tod – kein Tabu mehr‘ zu machen.

Ich traf diesen Hans Mader, den Todesanzeigen-Sammler, zum Interview in Ratzeburg. Er sagte mir, er habe gerade eine Beerdigung hinter sich. Und dass er diese Todesanzeigen ‚traurig, sehr traurig‘ findet. Klar, verdammt: Er ist Pastor.

Bin ich jetzt zynisch? Oder versteht Hans Mader keinen Spaß? Darum geht es nicht. Es geht um den Umgang mit dem Tod – und der ist individuell. Dafür gibt es keine Regeln. Oder doch?

Hans Mader sagte übrigens, dass er ein fröhlicher Mensch sei. So als Rheinländer. Da war ich dann beruhigt.“

Claudia Pfeifer, Art Directorin: „Auf der Suche nach einer Bildidee für den Journal-Titel zum Thema Tod sieht man überall Totenköpfe. Auf Hinweisschildern, Konzertplakaten, Kinderkleidung. Das Konterfei von Black Jack: für Mädchen auf Babyrosa, für Jungen auf Babyblau. Ich dachte sofort: Da kann man sich doch nur ergeben. Memento mori, bedenke, dass du sterblich bist. Und das sind wir ja alle. Von Anfang an. Das ist der Titel!

Die einen finden das Titelfoto ‚witzig und scharf‘, andere sind ‚entsetzt‘ und finden, dass ‚die kindliche Würde missachtet und damit Gewalt an Kindern weiter enttabuisiert‘ werde, wie uns Leserin Dorothee Adam-Lauterbach aus Berlin schrieb.

Die Eltern von unserem Titel-Baby Charlotte Maja – sie beim Sozialamt, er Künstler – waren sofort einverstanden. Es war ‚kurz komisch‘, als sie ihre fünf Monate alte Tochter zum ersten Mal im Skelett-Kostüm sahen. Aber man sieht ‚viel Schlimmeres‘, sagten sie. Charlotte fand, abgesehen vom Ankleiden, alles prima. Sie lächelte, zappelte, brabbelte und wurde dabei fotografiert. Danach behielt sie den Strampler einfach an und wurde im Kinderwagen durch den Park gefahren. In den Gesichtern der Großeltern hingegen spiegelte sich blankes Entsetzen, als die stolzen Eltern das Cover des Journals zeigten. ‚Oh Gott, oh Gott. Das ist ja abartig‘, war die Reaktion. ‚Es ist doch schrecklich, wenn man bei der Geburt schon an den Tod denkt.‘

Auf der Frankfurter Buchmesse erwies sich der Titel des Journals auf den Bestellflyern als Hingucker. Man schmunzelte. Irritiert schien keiner. Eine Frau und ihre Freundin nahmen gleich mehrere Flyer mit. Die Frau hatte einen deutlich sichtbaren Babybauch.

Isabel Lott, Fotoredakteurin: „Die Fotos zeigen den Kopf eines Mannes vom Todeseintritt bis zu seiner völligen Verwesung. Nur der Schädel bleibt. Entstanden sind die Aufnahmen, die wir im taz-Journal abgedruckt haben, auf dem Gelände eines Freiluftlabors in den USA, das zum Forensisch-Anthropologischen Institut der Universität Tennessee gehört. Alles streng wissenschaftlich. Die Forscher untersuchen menschliche Verwesungsprozesse – wichtig vor allem, um Verbrechen aufklären zu können. Die Fotos verlangen dem Betrachter einiges ab: Sie zeigen den Verfall unerbittlich – und der dauert bei dem Menschen auf den Fotos nur 4 Wochen.

Es gab keine Diskussion darüber, ob wir die Fotos zeigen sollen. Dafür waren sie zu interessant. Strittig blieb die Frage in unserer Redaktion, wie wir sie platzieren. Ich plädierte dafür, sie auf einer Seite zu präsentieren, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, den Bildern auszuweichen. Und war in der Minderheit. Die Entscheidung: ‚Keine halben Sachen! Der Leser muss stark sein – deshalb werden sie als durchlaufendes Band unter den Text gestellt. Wir machen schließlich ein Tabu-Heft!‘ Die ersten Reaktionen in der taz entsprachen unserer internen Diskussion. Die eine Seite sagte: ‚Leider kann ich wegen der unerträglichen Fotos den Artikel nicht lesen.‘ Oder: ‚Iiiih, wie könnt ihr nur, da bekomme ich Albträume.‘ Die andere Seite sagte: ‚Sehr interessant.‘ Oder: ‚Naja, so ist halt der Tod.‘ Neugierig geworden? Die Bilder finden Sie im Journal auf den Seiten 74 bis 78.“