: Prekariat am Briefkasten
MINDESTLOHN Den Zustellagenturen laufen die Boten weg. Grund ist die schlechte Bezahlung
Montagmorgen, acht Uhr, ein Blick in den Briefkasten: nichts drin. Das erleben viele Zeitungsabonnenten in letzter Zeit häufiger. Offenbar gibt es ein Problem bei den Zustellern.
Das bestätigt auch die Aboabteilung der taz, wo sich die Beschwerden der Abonnenten häuften. Bei der Berliner Zustell- und Vertriebsgesellschaft für Druckerzeugnisse (BZV), dem einzigen Zustelldienst in Berlin, herrschten Personalengpässe, heißt es. Ob dies womöglich an der schlechten Bezahlung liege? „Stimmt“, sagt der Mitarbeiter pauschal.
Seit dem 1. Januar 2015 bekommen deutsche Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Ausgenommen sind Branchen wie das Taxi-Gewerbe und die Zeitungszusteller. Boten, die nur Zeitungen austragen, bekommen 6,38 Euro pro Stunde; bei ein- bis zweieinhalb Stunden Arbeitszeit. Erst bis 2018 steigt der Lohn sukzessive.
In Berlin beschäftigen die einzelnen Zustellagenturen des BZV etwa 1.600 Zusteller. Dort bestätigt man den Personalmangel: „Besonders in den ehemaligen Westberliner Stadtteilen haben wir Probleme, neue Boten zu rekrutieren“, erklärt Jörg Seidler vom BZV. Zudem hätten viele Boten gekündigt oder sich krankgeschrieben. Doch einen direkten Zusammenhang zum Mindestlohn sieht er nicht: „Schon seit dem letzten Jahr fehlen uns Boten.“ Mittlerweile wanderten auch einige in Mindestlohnjobs ab. Dadurch vergrößerten sich die Touren der übrigen Zusteller. Zudem sei die nächtliche Arbeit unbeliebt: „Unsere Stammboten sind oft rüstige Rentner, aber kaum Jugendliche.“
Die Einschätzung der Gewerkschaft Verdi ist kritischer: „Die Beschäftigen suchen sich attraktivere Arbeitsplätze, wo sie den vollen Mindestlohn bekommen“, so Jörg Reichel vom Verdi-Landesverband Berlin-Brandenburg. SOPHIE KRAUSE