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Archiv-Artikel

Von Goldrausch bis zum Staub

In dieser Woche findet das 21. Internationale Filmfest Braunschweig statt

Es blicken wieder Augen auf Braunschweig. Seit vor acht Jahren mit dem Filmfest der Stadt auch dessen Design erneuert wurde, ist auf all seinen Plakaten, Katalogen, Bannern, Trailern und Programmen jeweils auf gelbem Untergrund das Augenpaar eines Filmstars abgebildet. Jedes Jahr kann man wieder raten, wem denn dieser intensive Blick gehört.

Nach den krisenreichen 90er Jahren, in denen die Festivalmacher nicht nur nach Finanzen, sondern auch nach einem eigenen Profil suchten, hat sich das Filmfest inzwischen als ein Publikumsfestival etabliert, das sich durch einzelne Programmschienen, die im Laufe der Jahre ausgebaut wurden, einen Namen gemacht hat. Anders als etwa bei dem viel größeren Filmfest in Hamburg, dessen Programmauswahl von Jahr zu Jahr beliebiger zu werden scheint, entwickelt sich da konsequent eine Linie. So gibt es wieder einen Schwerpunkt „Musik und Film“, und wieder wird ein internationaler Filmkomponist mit einer Werkreihe vorgestellt. Der Brite Andrew Dickson wurde durch seine enge Zusammenarbeit mit Mike Leigh bekannt, und so läuft in Braunschweig inoffiziell auch eine kleine Retrospektive mit fünf von dessen Spielfilmen, für die Dickson jeweils einen atmosphärisch reichen und subtil unauffälligen Soundtrack lieferte. Symphonische Filmmusiken sind an zwei Abenden im Staatstheater zu erleben, wo das Staatsorchester heute Abend die Musik des Festivalgastes vom letzten Jahr Carl Davis zu Charlie Chaplins „Goldrausch“ spielt und morgen als Uraufführung mit die von Stephan von Bothmer komponierte Begleitung zu dem Stummfilm „Zuflucht“ von Carl Fröhlich zu hören sein wird.

Kein Festival ohne Wettbewerb, und auch hierbei ist Braunschweig einen etwas anderen Weg gegangen, indem es auf die sonst übliche Fachjury verzichtet und das Publikum entscheiden lässt. Für den „Heinrich“ können europäische Regisseure ihren ersten oder zweiten Film einreichen. Unter den zehn Produktionen aus neun Ländern ist„Retrieval“ der polnische Oscarbeitrag des Jahres. Die Geschichte eines Türstehers, der in die Welt der illegalen Boxkämpfe und Schuldeneintreibungen abrutscht, steht in der Tradition von Kieslowski. Zum ersten Mal wird diesmal in Braunschweig ein europäischer Schauspielerpreis verliehen, und als erste wird Hanna Schygulla mit ihm ausgezeichnet.

Am 11. November wird ihr die Bronzestatue im Rahmen einer feierlichen Gala überreicht und in einer Hommage laufen sechs von ihren Filmen aus den 70er und 80er Jahren, darunter mit „Lili Marlen“ und „Maria Braun“ ihre späten Zusammenarbeiten mit Fassbinder und das selten gezeigte Meisterwerk „Passion“ von Jean-Luc Godard.

Braunschweig ist in diesem Jahr „Stadt der Wissenschaft“, und zu diesem Anlass findet die Veranstaltungsreihe „Science/Fiction –von der Leinwand ins Labor“ statt. Hier werden sechs Filme mit einem naturwissenschaftlichen oder technischen Bezug gezeigt, und anschließend kommentieren dann Spezialisten aus den jeweiligen Fachgebieten. Bei „Jahr 2022...Die überleben Wollen“ und „Andromeda...tödlicher Staub aus dem All“ aus den 70er Jahren wirken die Referate wohl eher amüsant, aber auch die neuen Filme von zwei altgedienten deutschen Regisseuren werden wissenschaftlich durchleuchtet. Werner Herzog hat sich mit „The Wild Blue Yonder“ eine durchgeknallte Weltraumfantasie erträumt und Hartmut Bitomsky schuf mit „Staub“ ein Filmessay über alles und nichts, denn der Staub ist allgegenwärtig, und so muss ein Film über den Staub von der ganzen Welt erzählen... Wilfried Hippen