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Archiv-Artikel

Raus aus der Provinz

Die Oldenburger Kibum rühmt sich, die größte nicht-kommerzielle Kinderbuchmesse Deutschland zu sein. Lokale Kulturpolitiker sähen sie gerne in der internationalen Liga. Dafür laden sie die französischen Nachbarn ein – und die Oldenburger Kinderbuch-Forschung ein bisschen aus

Die Kibum müsste ein Forum des Austausches werden. Aber sie steckt fest

VON ANNEDORE BEELTE

Ein Buch in der Dose, ein Buch mit Haarspangen, eins in Form einer Eisenbahn und eins mit einer aufgeklebten Pferdemähne. „Ist die echt?“, fragt Jens Thiele und lehnt sich, plötzlich interessiert, zu dem Bibliothekar herüber. Der hatte gerade angesetzt, die Buchmarkt-Trends vorzustellen, die auf der 33. Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse Kibum auszumachen sind. Thiele leitet an der Universität Oldenburg die Forschungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur „OlFoKi“. Jetzt pustet er in die Wuschel-Mähne, während der Bibliothekar fortzufahren versucht. Die Journalisten lachen, und jetzt ist klar: Mit diesen Trends braucht man sich nicht näher zu beschäftigen. Womit aber soll man sich beschäftigen auf der Kibum?

Seit 1977 werden in Oldenburg in jedem November alle Neuerscheinungen ausgestellt, die die Verlage dafür einsenden. Jedes Jahr sind es mehr, inzwischen 2.500, und Oldenburg rühmt sich, die bundesweit größte nicht-kommerzielle Kinderbuchmesse auf die Beine zu stellen. Die Kibum zählt Jahr für Jahr mehr Besucher, wobei es sich vor allem um Schulklassen aus der Stadt und dem Umland handelt. Doch Oldenburg will mehr: Man träumt davon, der Messe in Bologna Konkurrenz zu machen, dem internationalen Treffpunkt für Kinderbuch-Schaffende. „Mindestens das deutschsprachige Ausland müsste zu erreichen sein“, ist Kulturdezernent Martin Schumacher überzeugt.

Vor einigen Jahren wurde das Konzept aufgebürstet. Jeder Kibum-Durchgang erhielt ein Schwerpunktthema, das die Forschungsstelle vorgab – auf Drängen von Schumacher, wie Thiele versichert – und dazu eine eigene Ausstellung konzipierte. Vor zwei Jahren war es das zum konservativen Zeitgeist wunderbar passende Motto „Religion, Sinn und Werte“. 2006 wandte sich die Kibum dem Orient zu. Autoren aus der islamischen Welt gaben einen Eindruck davon, was es heißt, im Libanon oder in Ägypten Kind zu sein. Doch weder von Pädagogikstudentinnen liebevoll geklebte Collagen noch rotziger Rap, den junge Migranten in Schreibwerkstätten texteten, waren wirklich geeignet, internationale Aufmerksamkeit auf Oldenburg zu lenken.

Für 2007 hatte sich Jens Thiele ein Thema vorgenommen, das ein Desiderat in der Forschung darstellt: „Emotionale und soziale Probleme in der Kinderliteratur“. Klingt nicht gerade wie ein Publikumsmagnet, doch dahinter verbergen sich Themen, die derzeit breit diskutiert werden: Vernachlässigung, Missbrauch, Kinderarmut. Thiele will belegen, was Pädagogen und Lektoren nicht glauben wollen: Dass gerade das Dunkle Kindern Mut macht. Bücher können ihnen zeigen, dass furchtbare Erfahrungen nicht verschwiegen werden müssen, dass man sie malen und aufschreiben kann. Die Ausstellung ist für Kinder konzipiert. Begehbare und bespielbare Bilderbücher versprechen auch dem erwachsenen Besucher Reizvolleres als die vertrauten Basteleien aus dem Proseminar.

Doch als Motto der Kibum wollte die Stadt dieses düstere Thema dann doch nicht akzeptieren. „Man könnte es als Skandal bezeichnen“, sagt Thiele. „Die Stadt traut sich nicht.“ So steht die 33. Kibum nun unter dem Motto „Bonjour la france!“ Mit emotionalen und sozialen Problemen, meint Stadtbibliotheks-Leiterin Heike Janssen, könne man nicht werben. Womit sie Recht haben mag: Von den fast 7.000 Schülern, die sich bisher angemeldet haben, hat noch keine Klasse eine Führung durch Thieles Ausstellung gebucht. „Das Motto passt nicht über die ganze Messe“, sagt Schumacher. Künftig werde die Kibum immer einen Länderschwerpunkt bekommen, die Forschungsstelle ist nur noch für die Begleitausstellung zuständig.

Bonjour la France, das klingt nach der Städtepartnerschafts-Euphorie aus den 70er Jahren. Jugendliche aus Oldenburg und der Partnerstadt Cholet haben ein Büchlein geschrieben und – so der erfrischend ehrliche Pressetext – „kleine improvisierte Szenen“ entwickelt zum lahmen Thema „Kindheit heute in Deutschland und Frankreich.“ Da klingt ein fernes Echo des einst angepeilten Mottos heraus, ohne mit allzu viel Schwermut zu nerven. Nein, nein, versichert Schumacher, ihm geht’s gar nicht um grenzüberschreitende Umarmungen, sondern um eine strategische Partnerschaft mit französischen Kulturträgern.

Doch wohin soll die Strategie führen? Stadtbibliotheksleiterin Janssen wünscht sich ein regionales Lese-Event: Mithalten mit der Konkurrenz anderer Freizeitangebote, Kinder den Lesestoff finden lassen, der sie anspricht. „Das Wort Leseförderung wird inflationär gebraucht“, hält Thiele dagegen. „Ein schlechtes Buch muss ich nicht lesen.“ Der OlFoKi liegt „Leseförderung“ fern. Ihre Ausstellung setzt einen Schritt weiter an: Kinder, denen Literatur vertraut ist, sollen über das Medium für soziale Fragen sensibilisiert werden. Doch sind es gerade die Nicht-Leser, die von Problemen wie Armut und Gewalt betroffen sind. „Natürlich kann es sein, dass wir die Falschen erreichen“, räumt Thiele ein. Kulturpolitiker Martin Schumacher hat ganz andere Ziele: Entscheidungsträger erreichen, Autoren anziehen, Kontakte stiften. Wo solche Begegnungen stattfinden sollen, sagt er nicht.

In Frage käme hier höchstens der Schulflur, in der Fünfzehn-Minuten-Pause zwischen zwei Lesungen. Denn von ihrem nicht-kommerziellen Anspruch, der ein direktes Selbstmarketing von Verlegern, Autoren und Illustratoren verbietet, wollen die Oldenburger partout nicht abrücken. Die Begleitausstellung macht es eigentlich vor: Hier präsentiert ein Verleger seine Arbeit, Fach-Vorträge sprechen auch ein erwachsenes Publikum an. Auf der Messe werden 400 französische Kinderbücher zu sehen sein. Wer wird die alle lesen? Wer etwas über das ausgeklügelte System früher Lese-Sozialisation in Frankreich erfahren? Über die ganz unterschiedlichen Konzepte von Kindheit, wie sie sich in Deutschland und Frankreich seit der Aufklärung ausgeprägt haben? „Die Kibum müsste ein Forum des Austausches werden“, sagt Thiele. „Stattdessen steckt sie in einem provinziellen Kreislauf fest.“