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Archiv-Artikel

ACHSE DER REISSUES VON JULIAN WEBERVon einer Hölle zur andern

„Dixie Fried“ ist nicht nur dem Primal-Scream-Sänger Bobby Gillespie stetiger Quell der Inspiration. Auch der amerikanische Kritiker Nick Tosches bescheinigte einmal dem Album, „eine der größten Musiken des 20. Jahrhunderts“ zu bergen. Aus dem Plural ist ersichtlich, was am Pianisten und Gitarristen James Luther Dickinson fasziniert: dass er fürs Überleben im Alltag bizarre Analogien bei so unterschiedlichen Künstlern wie dem Countrysänger Tex Ritter und der Soulgruppe Staple Singers ausgegraben hat und diese alte Musik aus einer Hölle geradewegs in die nächste zerrt.

Die Aufnahmen für „Dixie Fried“ entstanden im Herbst 1971 in Memphis, zusammen mit Dr. John, Sid Selvidge und anderen Musikern. Trotzdem ist der schmierige Ölteppich, der sich über die Songs gelegt hat, nicht allein mit der Allstarbesetzung zu erklären. Nach der Drogen-induzierten Euphorie der Sixties wachte man auch im Süden der USA verkatert auf: Musikerfreunde Dickinsons gerieten mit dem Gesetz in Konflikt, oder schlimmer, schieden freiwillig aus dem Leben. Zudem stand die regionale Plattenindustrie vor ihrer ersten großen Umstrukturierung. Die einende Macht der Aufnahmestudios war im Schwinden begriffen. „Dixie Fried“ landete alsbald in den Grabbelkisten, aber, so Dickinson, „ohne Cut-out-Album wird kein richtiger Mann aus dir“. Heute lässt sich „Dixie Fried“ als vitaler Zitatenschatz begreifen und als Testament einer integrativen Haltung.

James Luther Dickinson: „Dixie Fried“ (Sepiatone)

Feinster Hyperventilationspop

Hierzulande ist der Londoner Keyboarder und Gitarrist Chaz Jankel ein großer Unbekannter geblieben. Da helfen weder Hitsingles („Ai no Corrida“) noch skurrile Soloalben („Chazanova“ 1981, „Chazablanca“, 1983) noch Songs für Hollywood-Filme (etwa für „Real Genius“).

Es hat jedenfalls bis zur Ära des Beardo-House und der Edits im 12inch-Format gedauert, um die rhythmische Vielfalt und die clubtauglichen Vibes aus seinem Werk herauszuhören. Während Jankel getreu dem Vornamen heute gepflegten, den Sechzigerjahren verpflichteten Jazz tut (sein Album „Out of the Blue“ ist unter anderem zusammen mit dem israelischen Saxofonisten Gilad Asmon entstanden), manchmal englischen R&B-Nachwuchs produziert (die Sängerin Tyra Fernell), hat sich das Londoner House-Label Tirk Jankels Schaffen in den Achtzigern angenommen. „My Occupation – the Music of Chaz Jankel“ versammelt klassische A- und rare B-Seiten, Hits und alternative Mixe.

Den feisten Hyperventilationspop von „Ai No Corrida“, genauso wie den schläfrigen Schmuddelwetter-Reggae („To Woo Lady Kong“). Bongo-getriebenen Disco-Wahnsinn („Questionnaire“), ebenso wie die von Ian Dury gesungene Clubhymne „Glad to know you“ (einstmals ein Klassiker im New Yorker „Studio 54“). Die schwarzen Einflüsse und das, was Chaz Jankel aus ihnen gemacht hat, könnten Vorbild für jüngere Musikergenerationen werden.

Chaz Jankel: „My Occupation – the Music of Chaz Jankel“ (Tirk/Groove Attack)

The Groove Is In The Harp

Dorothy Ashby (1931–86) hatte es doppelt schwer. Als Frau im Jazz und dann noch als Harfenistin konnte sie sich nur gegen große Widerstände durchsetzen. In Detroit geboren, fing sie dort Mitte der Fünfziger als Sessionmusikerin an, um 1958 mit „In a Minor Groove“ landesweit Bekanntheit zu erlangen. An die Erfolge ihrer Klassenkameraden Donald Byrd und Kenny Burrell kam sie freilich nicht heran. Dafür versah die Musikerin, die sich jahrelang als Einfrau-Hochzeitskapelle durchschlug, in den Sechzigern eine eigene Jazz-Soul-Radiotalkshow in Detroit. Trotzdem werden viele Menschen beim Stichwort Harfe schreiend das Weite suchen.

Vielleicht horchen sie bei „The Rubaiyat of Dorothy Ashby“ nochmal hin. Mehr Seele, mehr Körper, mehr Groove wurde aus dem Saiteninstrument nie wieder herausgekitzelt. In den Fingerspitzen liegt die Kraft, „The Moving Finger“ ist das Finale von Ashbys „Rubaiyat“ folgerichtig betitelt. Inspiriert von Epigrammen des persischen Mathematikers und Dichters Omar Chayyam, suchte Ashby, typisch für die späten Sechziger, im Osten nach Inspiration. Passend hat der Chicago-Soul-Arrangeur Richard Evans mit Instrumenten wie Kalimba oder Koto bebildert und für ein ausladendes Orchesterbett gesorgt sowie für einen subkutanen Rhythmus, der nicht nur der Headphone-Gemeinde die Kopfhörer aufsetzen lassen wird.

Dorothy Ashby: „The Rubaiyat of Dorothy Ashby“ (Dusty Groove)