Nicht im kargen Käfig wohnen

Der Architekturführer „Neues Hamburg“ demonstriert nicht nur, was sich aus umgenutzten Bauen machen lässt. Er offenbart auch den Hang der Stadtplaner zu spektakulären Dächern und Grundrissen, die oft wenig zweckmäßig sind

Eigentlich ist es folgerichtig, aber bewusst wird es einem erst in der Gesamtschau: Zu den interessantesten Gebäuden, die während der letzten zwölf Jahre in Hamburg entstanden, zählen die Umnutzungen. Jene Projekte also, bei denen die Herausforderung nicht darin bestand, etwas Neues zu schaffen, sondern vorhandene Bausubstanz in den neuen Entwurf zu integrieren und so ein neues „Kunstwerk“ zu schaffen.

Das Wohnhaus in der Harvestehuder Bogenallee demonstriert dies deutlich: Bis auf die Grundmauern entkernt haben die Architekten das zuvor gewerblich genutzte Gebäude, um ihm elegant eine neue Form zu geben. Denn die künftigen Bewohner sollten sich nicht wie in einer Wohnfabrik fühlen. Daher taten die Architekten, was Künstler schon lange praktizieren: Sie stülpten Innenraum nach außen, sprich: montierten containerartige Quader vor die Fassade, verschalten sie mit Holz und verliehen ihr so ein fast skandinavisches Flair.

Dezenter sind die Architekten beim Bau des Gemeindezentrums im Mühlenberger Weg in Blankenese verfahren. Um die Nutzung der Backsteinreste einer neogotischen Kirche kamen sie nicht herum. Das Alte exakt wiederaufbauen, gar kopieren wollte man aber auch nicht. Außerdem sollte ja ein profaner Bau entstehen. Also hat man aus dem Zwang eine Tugend gemacht: Die fehlenden Mauerstücke haben die Architekten durch Glas ersetzt. Einen Hauch Beunruhigung birgt der Bau außerdem, wurde der schwere Backstein-Giebel doch über scheinbar schwereloses Glas gesetzt, so dass man unbewusst immer fürchtet, es trüge nicht. Dass der neue Raum wesentlich lichter ist als die Vorgänger-Kirche, versteht sich dabei von selbst.

Abgesehen davon präsentiert der handliche, durchaus für Unterwegs-Touren geeignete Band auch komplett neu ersonnene Bauten. Die recht brav quadratischen Bürogebäude in der Hafencity zum Beispiel. Als Hamburgisches Spezifikum lässt sich aber nach Lektüre dieses Bandes der Trend zu spektakulären Formen orten, die nicht immer alltagskompatibel sind: Die spitzen Ecken des Bürogebäudes an der Ost-West-Straße mit ihren ungemütlich verglasten Büroräumen zum Beispiel. Und das elegant geschwungene Dach des Zentralen Omnibus-Bahnhofs in St. Georg ist so hoch, dass es niemanden vor Regen schützt. Aber es sieht gut aus. Und das ist den Planern hier wohl wichtiger gewesen. PS

Iris van Hülst: Architektur neues Hamburg. Berlin 2006; 161 S., 16,80 Euro